Nachhaltigkeitsgesetze: Mit Weitblick handeln und Gestaltungsspielraum nutzen

Dies ist Teil 1 einer Serie zum Thema Nachhaltigkeitsberichterstattung, die im Börsenblatt erschienen ist:


Teil 1: »Nachhaltigkeitsgesetze: Mit Weitblick handeln und Gestaltungsspielraum nutzen«
Teil 2: »Nachhaltigkeit in Aktion: Berichtstandards mit Potenzial«
Teil 3: »Prima Klima im Verlag: CO2 wirkungsvoll bilanzieren und reduzieren«


Nachhaltigkeit ist manchmal wie ein Dschungel. Ein Dschungel voller Akronyme und Abkürzungen. Sich zu orientieren, ist eine der ersten Herausforderungen, wenn man sich als Verlag auf den Weg macht.

Schon der Begriff allein adressiert mit seinen drei Dimensionen – Ökologie, Ökonomie und Soziales – viele verschiedene Aspekte und Themen. Dazu kommen die zahlreichen neuen Richtlinien und Gesetze, die auf EU- und Bundesebene erlassen werden. Ganz zu schweigen von nichtstaatlichen Siegeln, Zertifikaten und Berichtsstandards, die wie Pilze aus dem Boden schießen. Obwohl alle Umsetzungshilfen dazu gedacht sind, eine nachhaltige Entwicklung zu unterstützen und zu fördern, wird es durch die Vielzahl nicht unbedingt leichter, den ersten Schritt zu gehen. Zeit für Klarheit. Zeit für Orientierung. Deshalb soll es hier um die Frage gehen: Welche Gesetze gibt es schon oder kommen in naher Zukunft auf Verlage zu?

European Green Deal

2019 hat die europäische Kommission einen Plan vorgestellt, um die europäische Wirtschaft und Gesellschaft nachhaltig zu transformieren – bekannt unter dem Namen European Green Deal. Damit soll Europa u.a. bis zum Jahr 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent werden, der keine Netto-Treibhausgasemissionen mehr ausstößt. Der European Green Deal beinhaltet 47 Einzelmaßnahmen wie zum Beispiel verschiedene Reformvorschläge zu bestehenden EU-Klimaregelungen und ist die Wiege für zahlreiche Gesetzesinitiativen auf EU-Ebene. Durch den European Green Deal wird die Messlatte für Nachhaltigkeitsanforderungen peu à peu höher gehängt. Von der CSRD über CS3D bis hin zu Green Claims und EUDR sind viele Richtlinien bereits erlassen oder noch im Entwurfsstatus. Aber eins nach dem anderen:

Die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) verankert eine Pflicht zur Nachhaltigkeitsberichterstattung im europäischen Recht. Sie löst die Non-Financial Reporting Directive ab und ist bereits in Kraft getreten. Damit verbunden ist eine starke Erweiterung der betroffenen Unternehmen, die Anwendung der European Sustainability Reporting Standards (ESRS) und eine externe Prüfpflicht. Die allermeisten Verlage arbeiten mit großen Handelspartnern zusammen, wie Amazon, Thalia, Hugendubel und Co. Die Handelskonzerne werden aufgrund der CSRD in jedem Fall berichtspflichtig. Dadurch wird es zu einer Kettenreaktion kommen: Denn berichtspflichtige Handelspartner sind auf die Nachhaltigkeitsdaten der Verlage angewiesen, da bei der Berichterstattung auch immer die vorgelagerte Wertschöpfungskette betrachtet werden muss. Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis diese überall an die Türen klopfen und Auskunft haben möchten. Damit sind so gut wie alle Verlage indirekt berichtspflichtig.

Auch schon vor der CSRD gab es eine europäische Pflicht zur Nachhaltigkeitsberichterstattung. Diese Pflicht war in der Non Financial Reporting Directive (NFRD) geregelt und wurde durch das CSR-Richtlinien-Umsetzungsgesetz (CSR-RUG) in deutsches Recht überführt. Die NFRD ist durch die CSRD abgelöst worden, deshalb soll diese Richtlinie hier keine große Rolle spielen. Aufgrund der CSR-RUG sind kapitalmarktorientierte Unternehmen, Finanzdienstleister und Versicherungen mit mehr als 500 Mitarbeitenden, einer Bilanzsumme von 40 Mio. Euro oder Nettoumsatzerlösen von 20. Mio. Euro schon seit dem 01.01.2017 berichtspflichtig.

An die Berichtspflicht nach CSR-RUG ist auch eine Berichtspflicht entsprechend der EU-Taxonomie gekoppelt. Das heißt, Unternehmen, die nach CSR-RUG berichtspflichtig sind, müssen auch nach EU-Taxonomie berichten. Die EU-Taxonomie definiert, welche Wirtschaftstätigkeiten nachhaltig sind und welche nicht. Sie soll nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten klassifizieren und transparent darstellen, zu welchem Anteil ein Unternehmen oder ein Finanzprodukt nachhaltig ist. Die EU-Taxonomie ist in zwei Bereiche gegliedert – die Umwelt-Taxonomie und die Sozial-Taxonomie. Die Umwelt-Taxonomie hat insgesamt sechs Umweltziele, zu denen berichtet werden muss. Das sind Klimaschutz und CO2-Minderung, Anpassung an den Klimawandel, Nachhaltiger Einsatz und Gebrauch von Wasser und Meeresressourcen, Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, Vorbeugung und Kontrolle von Umweltverschmutzung, sowie Schutz und Wiederherstellung von Ökosystemen und Biodiversität. Ab 01.01.2024 muss für das Berichtsjahr 2023 zu allen Umweltzielen berichtet werden. Die Sozial-Taxonomie befindet sich hingegen noch in der Entwicklung. Ab 2025 wird es noch einmal zu einer Änderung der Berichtspflicht nach EU-Taxonomie kommen. Dann wird der Kreis der Berichtspflichtigen auf alle Unternehmen ausgeweitet, die auch nach CSRD berichtspflichtig sind.

Die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CS3D) ist ein geplantes EU-Lieferkettengesetz, welches noch im Entwurfsstatus ist. Die Richtlinie soll dazu dienen, dass europäische Unternehmen sich mit ihrer unternehmerischen Verantwortung entlang ihrer gesamten Lieferkette auseinandersetzen. Potenzielle und tatsächliche Risiken für Umweltschutz und Menschenrechte sollen vermieden oder zumindest minimiert werden. In Deutschland haben wir bereits das Lieferketten-Sorgfaltspflichten-Gesetz (LkSG), das in eine ähnliche Richtung zielt und seit dem 01.01.2023 gültig ist. Die allermeisten Verlage sind davon nicht direkt betroffen. In der Praxis sieht es im Moment aber so aus, dass große berichtpflichtige Handelspartner ihre Pflichten aus dem LkSG eins zu eins an Verlage weitergeben und es daher auch hier zu einer indirekten Betroffenheit kommen wird.

Neben den allgemeinen Lieferketten-Gesetzen gibt es noch die Richtlinie für entwaldungsfreie Lieferketten (EUDR). Wie der Name schon sagt, soll sie Waldschädigung und Entwaldung weltweit verhindern. Die Richtlinie ist bereits in Kraft getreten und muss in den nächsten 18 Monaten, also bis Ende 2024, in nationales Recht übertragen werden. Verlage sind direkt betroffen, da Holz und das Folgeprodukt Papier laut der Richtlinie zu den kritischen Rohstoffen zählen, die maßgeblich mit Entwaldung in Zusammenhang stehen. Das Gesetz verpflichtet alle Unternehmen, die kritische Rohstoffe in Verkehr bringen, eine Erklärung hinsichtlich der Entwaldungsfreiheit mit entsprechenden Nachweisen abzugeben. Diese Erklärungen werden DD-Statements genannt. Aufgrund ihrer Position in der Lieferkette haben Verlage zukünftig die Pflicht, die von ihren Lieferanten abgegebenen Erklärungen zu prüfen und ggf. auf Basis vorheriger DD-Statements selbst eine abzugeben. Für die Umsetzung der Verordnung werden Länder oder Landesteile durch die EU-Kommission in einem dreistufigen Risikomodell bewertet, abhängig davon, wie anfällig die jeweiligen Regionen für Entwaldung oder Waldschädigung sind. Die Bewertung der Herkunftsgebiete hat dann wiederum Einfluss auf die Tiefe der zu leistenden Prüfung der Daten durch Verlage.

Die Richtlinie zu den Green Claims (GCD) schlägt hohe Wellen – schon bevor sie überhaupt in Kraft getreten ist. Nach der Richtlinie sollen Unternehmen nur noch mit umweltbezogenen Angaben werben dürfen, wenn diese wissenschaftlich belegt und unabhängig geprüft wurden. Bei Verstößen drohen empfindliche Strafen von bis zu 4% des globalen Jahresumsatzes. Die größte Gefahr lauert aber ganz woanders: Das Gesetz soll in seiner jetzigen Fassung rückwirkend gelten. Das heißt, Verlage könnten für heutige Aussagen in spätestens zwei Jahren belangt werden, wenn die Richtlinie in nationales Recht überführt wurde. Deshalb verabschieden sich schon heute viele Unternehmen von Werbeaussagen wie »klimaneutral«, »umweltneutral« oder »klimapositiv«. Und auch einige Gerichtsurteile wie kürzlich aus Karlsruhe (Deutsche Umwelthilfe gegen die Drogeriemarkt-Kette DM) sprechen eher dafür, sich mit der Einhaltung der Green Claims-Richtlinie zu beeilen.

Verlage sollen sich frühzeitig vorbereiten

Inwieweit einzelne Verlage betroffen sind und was Sie für ihre Rechtssicherheit tun müssen, kann nur individuell beurteilt werden. Es ist also mehr als ratsam, alle Entwicklungen in punkto Gesetze und Richtlinien im Blick zu behalten und sich frühzeitig darauf vorzubereiten. Denn das bietet die Möglichkeit, die gesetzlichen Entwicklungen für Ihren Verlag als Chance zu nutzen und sich so einen entscheidenden Vorsprung zu sichern.
Weiter geht es in Teil 2.

Dieser Artikel ist im Original am 13.10.23 im Börsenblatt erschienen.

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