Wie das Lektorat zum Innovationstreiber wird
Alles dreht sich um den Leser, den Kunden. Zumindest sollte es das. Das zeigen vielfältige Überlegungen rund um Erfolg versprechende Inhalte und Vertriebskanäle, die die Branche zunehmend beschäftigen, auch weil Leserkunden verloren gehen. So untersuchen Studien, wie etwa „Buchkäufer – quo vadis“ vom Börsenverein, die Gründe für die Abwanderung von Buchlesern.
Folgestudien, wie die aktuell vorgestellte Untersuchung zu Lesemotiven, bieten aber auch Lösungsansätze, wie der Leser (wieder) besser zu erreichen ist. Nicht zuletzt hat auch die Coronakrise dazu geführt, Programme, Produkte und Kanäle zu hinterfragen und (neu) zu bearbeiten, um den richtigen Weg zu Leserin und Leser zu finden und weiterhin Umsätze zu generieren.
Der Wandel hin zum kundenfokussierten Denken und Handeln findet also in vielen Verlagen schon statt. Die Praxis zeigt allerdings, dass oftmals nicht alle Bereiche im Unternehmen den Change-Prozess in gleicher Weise unterstützen oder mit vorantreiben. Bekannt sind vor allem Spannungen zwischen Lektorat und Marketing bzw. Vertrieb.
Vielfach wird beklagt, dass Lektorinnen und Lektoren auf der einen Seite mehr das „schöne“ Thema, einen Autor und seine individuellen Wünsche im Blick haben oder auch das ganze Programmprofil, aber weniger die konkreten Bedürfnisse der Leser. Andererseits stehen Marketing und Vertrieb vor dem Problem, wie sie die so entstandenen Inhalte und Programme letztlich an die Kunden bringen sollen.
Diese Diskrepanz in der Vorgehensweise ist auf dem Weg zum Wandel hinderlich. Grund genug also, sich damit zu beschäftigen, welche Lösungen und Handlungsoptionen es gibt, damit das Lektorat selbst zum potenziellen Innovationstreiber im Unternehmen wird.
Drei Aspekte sorgen dafür, dass das Lektorat diese Rolle nicht ausfüllt:
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Tradierte Strukturen: Funktion und Arbeitsweise von Lektorat und Redaktion sind in den meisten Verlagen historisch gewachsen. Ein Grund dafür liegt in der Ausbildung, die de facto gar nicht einheitlich existiert und keinen übergreifenden Vorgaben folgt. Stattdessen ist in vielen Verlagen eine nahezu „inzestuöse“ Vorgehensweise zu beobachten: Etablierte Größen mit langjähriger Berufserfahrung ziehen ihre Nachfolger heran, die genauso denken und arbeiten wie sie selbst. Auf diese Weise wird jeweils vom Vorgänger übernommen, was lange Zeit so funktioniert haben mag, aber heute nicht mehr gelten muss. So wird schon im Volontariat eine Basis gelegt, die sich als wenig innovationsfördernd erweist und für einen Change eher hinderlich ist.
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Literarischer Status: Ebenfalls tradiert gibt es ein Standesbewusstsein je nach Tätigkeitsbereich. So genießt in vielen Publikumsverlagen die „schöne“ Lektoratsarbeit für die Literatur oder das gewichtige Sachbuch mit interessanten Autoren und spannenden Themen immer noch ein höheres Ansehen als etwa das Lektorat im Bereich der „leichten“ Unterhaltung, obwohl die wirtschaftlich eine sehr wichtige Rolle spielt.
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Hohe Fachspezialisierung: Eine Status - variante ist der Lektor mit hoher Expertise, der seine Fachthemen mit großem Engagement bearbeitet und seine Autoren pflegt, aber andererseits wenig Sinn für technische Innovationen hat und für Überlegungen, wie der wertvolle Content noch weiter aufbereitet und verwertet werden könnte.
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Zusatzbelastungen: Das Berufsbild der Lektorinnen und Lektoren hat sich schließlich darüber hinaus in den vergangenen Jahren insofern stark verändert, als die Lektorate u.a. durch draufgesattelte Zusatzaufgaben belastet sind. In kleinen Verlagen mussten sie sich oft autodidaktisch quasi zum Tausendsassa entwickeln, der für alles zuständig ist, von der Akquise über Veranstaltungsorganisation bis zur Werbezettelverteilung. In größeren Häusern geraten sie schon fast in die Rolle eines Systemadministrators, der mit dem Inhalt selbst nicht mehr viel zu tun und nur die diversen Systeme mit Informationen versorgt oder Aufgaben angrenzender Abteilungen übernimmt, indem er Metadaten oder Verkaufstexte erstellt.
Diese genannten Herausforderungen sind je nach Verlag unterschiedlich ausgeprägt, behindern aber das Potenzial für Innovationen aus inhaltlicher Perspektive. Ein Umdenken ist angesagt – an diesem Punkt ist die Unternehmensleitung gefordert, einen Wandel einzuleiten. Es gilt, den Change-Prozess im Lektorat und damit auch im Verlag selbst voranzutreiben.
Lösungen und Handlungsoptionen
Ein wichtiger Ansatz, um einen Ausweg aus dieser Situation zu finden, ist das Selbstverständnis des Verlags, der sich als Wirtschaftsunternehmen begreifen muss, statt nur als Kulturinstitution und dies auch beim Lektorat platziert. Hier muss in eine neue Richtung gelenkt werden, bei der Content zusammen mit dem Kunde im Fokus steht. Um dieses Selbstverständnis entwickeln zu können, sind folgende Lösungsansätze und Handlungsoptionen empfehlenswert:
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Ganzheitliches Verständnis: Vermitteln Sie, dass alle Mitarbeitenden dazu beitragen, Strategie, Geschäftsmodelle, Produkte, Workflows und Systeme umzusetzen – auch Lektorat und Redaktion.
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Transparenz in den Abläufen der Kernprozesse: Klären Sie Aufgaben, Verantwortlichkeiten, Abhängigkeiten etc. Die Kenntnis über interne und externe Kundenbeziehungen verbessert das Verständnis für die entsprechenden Prozesse. So lässt sich erreichen, dass das Lektorat früher, besser und verbindlicher arbeitet.
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Gemeinsames Zielgruppenverständnis: Auf dieser Basis lässt sich das Programmprofil schärfen und klären, woraufhin eigentlich akquiriert wird.
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Teambuilding: Bauen Sie Mauern zwischen einzelnen Verlagsbereichen und Abteilungen ab. Das sorgt für mehr Verständnis und eine bessere Zusammenarbeit.
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Leitfaden für das Volontariat: Er trägt dazu bei, die Ausbildung zeitgemäß zu gestalten und sicherzustellen, dass das Volontariat durch alle Bereiche des Hauses führt. Dazu gehören u.a. Produktentwicklung und -management, Vertragsmanagement, Honorargestaltung und Kalkulation, Marketing- und Vertriebsaspekte, Herstellung, Einkauf und Produktion. Wichtig ist dabei, sowohl die Arbeit als auch das Ineinandergreifen und Zusammenarbeiten der Bereiche zu vermitteln.
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Weiterbildung: Nutzen Sie Workshops oder individuelle Schulungen, u.a. zu Kompetenz in verschiedenen Medien, Methodenwissen in Innovationsmanagement, Trendscouting, Persona- oder Zielgruppendefinition, Verhandlungstechniken, Vertragsgestaltung oder Abrechnung.
Der Aufwand lohnt sich
Natürlich ist die Umsetzung dieser Maßnahmen mit einem organisatorischen, zeitlichen und finanziellen Aufwand verbunden. Doch es lohnt sich, denn das Unternehmen profitiert vielfach davon:
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mehr Zukunftsfähigkeit durch eine erhöhte Treffsicherheit in der Programmarbeit
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mehr Transparenz und Effizienz und somit mehr Zeit für Neues
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eine höhere Attraktivität für Autoren, denn der Lektor wird zum Sparringspartner und Impulsgeber, er kann mehr aus den Ideen und den Inhalten des Autors machen, präsentiert sich und den Verlag up to date und vermittelt den Mehrwert der Zusammenarbeit mit dem Verlag
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eine bessere Außenwirkung, indem Lektoren den Urhebern Vorgaben, Honorarstaffeln etc. erläutern bzw. verkaufen und den Change damit nach außen vermitteln
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und eine höhere Attraktivität für Mitarbeitende, denn der Arbeitgeber wird als innovativ wahrgenommen. Das alles verdeutlicht, welches Innovationspotenzial im Lektorat steckt. Es gilt nur, dieses zu nutzen und den Change-Prozess damit wesentlich voranzutreiben.
Dieser Artikel ist im Original am 01.12.20 im buchreport-spezial Management & Produktion erschienen.
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