Vertrieb: digitaler, flexibler, integrierter
Die Digitalisierung hat das Informations- und Konsumverhalten von Buchkäufern massiv verändert. Das zeigt sich in der Frequenzverschiebung vom analogen ins digitale Geschäft. Im Buchhandel selbst sind zudem Zentralisierungstendenzen und die Konzentration auf Ballungsgebiete zu erkennen. Das verändert die Bedeutung einzelner Handelskunden und -kanäle.
Dieser Strukturwandel im Buchmarkt hat zwangsläufig Auswirkung auf die Vertriebsarbeit und die Rolle des Außendienstes und des Verkaufs vor Ort:
- Reisegebiete und Zuständigkeiten müssen an neue Gegebenheiten angepasst werden.
- Der Deckungsbeitrag im Außendienst gehört immer wieder auf den Prüfstand, weil es womöglich mehr Gebiete gibt, bei denen viel Aufwand zu wenig Umsatz entgegensteht.
- Programmvorstellungen für Handelspartner kann – in Gebieten, in denen sich der Außendienstbesuch kaum lohnt – auch ein Innendienst-Team digital präsentieren.
Mit solchen strukturellen Veränderungen lassen sich Kosten und Nutzen deutlich optimieren. Bei einer solchen strategischen Ausrichtung des Vertriebs aus der Kosten- Nutzen-Perspektive profitieren die Verlage von mehr Flexibilität, einem besseren Einsatz von Ressourcen, von mehr Zukunftsfähigkeit, neuen Absatzkanälen und letztlich mehr Umsatz.
Bestandsaufnahme der Strukturen
Wer seine Vertriebsstrukturen optimieren möchte, ist gut beraten, den Bereich zunächst und Strukturen wie auch Prozesse marktkonform zu analysieren (s. Kasten). Dazu gehört der Blick auf den Außendienst und das Key-Account-Management, aber auch auf Innendienst bzw. Kundenservice. Die Analyse liefert eine solide Basis, um ein Modell für neue Vertriebsstrukturen zu entwickeln, bei dem Außen- und Innendienst sowie das Key-Account-Management optimal zusammenspielen. Sie trägt dazu bei, Fehlverteilungen der Ressourcen zu vermeiden. Im Mittelpunkt nachhaltig entwickelter Lösungen stehen meist zwei Kernthemen:
- Minimierung manueller Prozesse
- Neue vertriebliche Strukturen.
Automatisieren und analysieren
Eine bedeutende Rolle bei der Minimierung manueller Prozesse spielt naturgemäß deren Automatisierung. Das bezieht sich auf Schnittstellen, Titel- und Datenmeldungen, Produktformen und vieles mehr. Die Digitalisierung zahlreicher Abläufe trägt auch dazu bei, flexiblere Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen. So können Mitarbeitende entlastet und Ressourcen besser genutzt werden. Es schafft letztlich Freiräume für neue Themen, beispielsweise neue Absatzkanäle zu finden und zu bespielen. Die Corona-Krise mit ihren Lockdowns hat Verlagen gezeigt, dass es lohnenswert sein kann, die Produkte auch verstärkt über andere Kanäle wie soziale Medien, den eigenen Web-Shop oder Nebenmärkte zu verkaufen.
Zu den Digitalthemen gehören weiterhin:
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Absatzprognosen per künstlicher Intelligenz: So sind mithilfe einer »predictive Analysis« Vorhersagen zur Performance von Titeln und Themen möglich, auf die Vertriebsaktivitäten detailliert ausgerichtet werden können. Ein nach vorn gerichteter Ansatz, statt wie bisher nur retrospektiv zu betrachten, was gekauft wurde.
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Marketingautomation: Die Vertriebsaktivitäten können durch die Koordination mit Programmatic Marketing, eine Marketingautomation, ergänzt werden. Derartige Ansätze kommen bei Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen bereits zum Einsatz. Buchverlage haben hier noch viel Potenzial, die Aufmerksamkeit für Produkte bei nachweislich interessierten Endkunden zu erzeugen und diese Produkte im Kaufangebot nach vorn zu stellen. Möglich ist es zum Beispiel, die Produkte im eigenen Webshop prominent zu bewerben oder angepasste Keywords für genau diese Produkte via ONIX an die Händler zu geben.
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Bedarfsorientierte Produktion: Die Digitalisierung bietet auch Möglichkeiten, um auf der Basis von Kundendaten und der Analyse des Nutzerverhaltens neuen Content zu entwickeln. Netflix und Co. haben gezeigt, wie kundenorientierte Produktion von Inhalten funktionieren kann. Auch Online-Leserplattformen wie Goodreads, Lovelybooks, Netgalley oder auch Wattpad bieten Informationen, um von potenziellen Leserinnen und Lesern zu erfahren, was sie am liebsten lesen möchten, um dementsprechend das Programm zu gestalten. Die Kenntnis der Wünsche, Bedürfnisse und des Verhaltens von Kunden wird künftig zum wesentlichen Erfolgsfaktor. Verlage sind gut beraten, die Rolle des Außendienstes als Inputgeber noch intensiver zu nutzen. Vor diesem Hintergrund wird der persönliche Kontakt des Außendienstes mit dem Handel weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Im direkten Kontakt zum Händler können die Mitarbeitenden interessante Informationen über Buchkäufer gewinnen.
Ganzheitlich und agil
Schließlich zählt Ganzheitlichkeit zu den vielversprechenden Lösungsansätzen bei der Arbeit an den vertrieblichen Strukturen. Dazu gehört, Transparenz der aktuellen und geplanten Vertriebsaktionen im gesamten Verlag zu schaffen. Alle an der Wertschöpfung Beteiligten im Haus sollten sich über die vertrieblichen Aktivitäten und Ziele tagesaktuell informieren können und mithilfe der Verlags- und CRM-Software mit vertriebsrelevanten Informationen vernetzt sein.
Eine weitere grundsätzlich empfehlenswerte Maßnahme ist die Entwicklung einer agilen Vorgehensweise für die Vertriebsaktivitäten, im Sinne einer Klärung, welche Produkte – nicht nur Novitäten, sondern auch Backlist-Titel und Digitalprodukte – inhaltlich und als Produktform zu welcher Verkaufsperiode passen und in dieser Zeit verstärkt angeboten werden können.
Dafür sollte die übliche Vorgehensweise ergänzt werden, bei der die Verlage zwei oder dreimal im Jahr eine groß angelegte Vertretertagung veranstalten und der Außendienst dann mit den Novitäten in der Tasche versucht, einen möglichst großen Einverkauf im Handel zu generieren. Diese traditionelle und langwellige Vorgehensweise könnte mit weiteren Aktionen zu bestimmten Anlässen, in kleineren Zyklen, kombiniert mit Marketing und Marketingautomation kombiniert werden, orientiert am nachweislichen Kundenbedarf im entsprechenden Verkaufskanal und aktiv unterstützt durch den Vertriebsinnendienst. Kurzum: Es ist empfehlenswert, den Markt in kurzen Zyklen nach bestimmten Ereignissen und Kundenvorlieben hin zu beobachten und dann kurzfristig auf genau diese Analyseergebnisse zu reagieren, Ziele daran auszurichten und entsprechende Aktionen mit dem Handel und in der Endkundenansprache durchzuführen.
Die Vielfalt allein des hier skizzierten Maßnahmenspektrums deutet das Erfolgspotenzial an, das die strategische (Neu-)Ausrichtung des Vertriebs zu bieten vermag.
Vertrieb auf dem Prüfstand
Fragen für die Standortbestimmung und Neuausrichtung des Vertriebs:
- Grundsätzlich: Haben Sie eine Vorstellung davon, wie der Markt in 10 Jahren aussieht?
- Hat Ihr Vertriebsteam einen klaren Fokus auf Ihre Kunden?
- Welche B2C-Absatzwege können Sie erschließen?
- Kennen Sie die digitalen Kanale, in denen Sie Ihre Kunden erreichen können?
- Wie bearbeiten Sie digitale Absatzkanale?
- Welches Servicelevel wollen Sie künftig je Kanal anbieten?
- Welche digitalen Kommunikationstools setzen Sie ein, um Transparenz über die Vertriebsaktivitäten im Haus zu schaffen?
- Ist Ihr Team viel mit Aufgaben wie Datenmeldungen beschäftigt?
Ansätze zur Neuausrichtung
- Differenzieren Sie Ihre Geschäftsmodelle: Abo, Streaming, Channel- Management, Direktverkauf, stationärer Handel, Nebenmarkt
- Definieren Sie neue Servicelevels für Ihre Vertriebsbereiche und passend zu den jeweiligen Kanälen. Bringen Sie immer wieder die Kosten- Nutzen-Perspektive in Ihre Überlegungen ein.
- Entwickeln Sie eine B2C-Vertriebsstrategie, online und mobil, deren Maßnahmen auch auf stationäre Aktionen im Buchhandel einzahlen.
- Vernetzen Sie Ihren Vertrieb im Verlag: Der vertriebliche »Fühler« muss bei der Erarbeitung zielgruppengerechten Contents den größten Einfluss haben.
- Implementieren Sie KI-Tools in den Verlagsalltag, z.B. mit Vorhersagen zur Performance von Titeln und Themen.
Dieser Artikel ist im Original am 14.04.22 im Buchreport-Channel Strategie & Transformation erschienen.
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