Nachhaltigkeit strategisch angehen - resilient in unsicheren Zeiten
Für die einen bitter enttäuschend – für die anderen unerträgliches Polit-Chaos: der europaweite Rollback in Fragen der nachhaltigen Unternehmensführung. Warum in diesem Thema dennoch positive Bewegung und Überraschungs-Potenzial stecken und wie Verlage nun ihre Bemühungen um Nachhaltigkeit vorteilhaft skalieren sollten, erklärt Luise Rößner.
Erst das nicht umgesetzte Umsetzungsgesetz zur CSRD (EU-Richtlinie zur Unternehmens-Nachhaltigkeitsberichterstattung), jetzt das Omnibusverfahren. In Sachen Nachhaltigkeit scheint aktuell nichts mehr sicher zu sein, und es gibt Fragen über Fragen.
Müssen wir jetzt oder müssen wir nicht? Wenn ja, ab wann? Jetzt starten oder doch lieber abwarten, bis aus der Politik mehr Klarheit kommt? Gibt es vielleicht Basisanforderungen, mit denen man jetzt beginnen kann, ohne am Ende übers Ziel hinauszuschießen? Welche strategischen Vorteile bietet den Verlagen das Thema Nachhaltigkeit abseits von Berichtspflichten?
Nicht auf alle Fragen gibt es schon jetzt eine glasklare Antwort. Aber auf viele. Deshalb ist es an der Zeit sich auf das Warum zu besinnen und den strategischen Erfolgsfaktor zu erkennen.
Warum Nachhaltigkeit?
Manche Unternehmen sind aufgrund der Regulatorik verpflichtet, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Aber: Ein Nachhaltigkeitsbericht um seiner selbst willen, als reine Pflichterfüllung, bringt keinen Mehrwert. Dabei liegen in der Nachhaltigkeit viele wirtschaftliche Vorteile für Unternehmen und wir brauchen das Reporting als strategischen Managementrahmen, um langfristig positive Veränderungen herbeizuführen. Nur mit einem zielgerichteten Vorgehen lässt sich Wirksamkeit priorisieren. Nachhaltiges Wirtschaften und Wettbewerbsfähigkeit gehen dabei Hand in Hand. Und das liegt schon im Begriff selbst begründet. Bei Nachhaltigkeit geht es nicht nur um „grün“ oder „sozial“; wirtschaftlicher Erfolg ist ein zentraler Aspekt im Konzept der Nachhaltigkeit – nur leider wird das oft vergessen. Es geht darum, ökologische und soziale Themen mit Wirtschaftlichkeit zu verbinden und scheinbare Zielkonflikte aufzulösen. Es geht darum, die Wirtschaft so zu transformieren, dass wir unsere eigene Lebensgrundlage nicht länger zerstören, dass wir alle gut leben können und dass unser Wohlstand langfristig erhalten bleibt. Wenn wir uns also auf das Warum besinnen, wird die Sicht deutlich klarer.
Die Klimawirkung unserer Branche liegt zwischen 4 und 6°C. Wir tragen also maßgeblich zur Klima- und Biodiversitätskrise bei. Und diese gefährdet unser Geschäftsmodell. Extremwetterereignisse stören Lieferketten, den Wäldern – unserer Rohstoffquelle – geht es weltweit schlecht, und der Markt ist alles andere als transparent, wenn es um die Auswahl CO2e-armer Materialien geht. Diese und noch viele weiter Faktoren treiben die Kosten nach oben. Für alle, die noch viele Jahre wirtschaftlich erfolgreich am Market bleiben wollen, ist es also ziemlich smart, sich genau auf diese Risiken vorzubereiten – auch unabhängig von Berichtspflichten.
Der vereinfachte VSME-Standard als Schutzschild
Das war‘s aber noch lange nicht. Als Verlag hat man in vielen Fällen eine Sandwichposition in der Lieferkette.
Vorgelagert sind Forstwirtschaft, Papierindustrie und Druckereien, nachgelagert ist der Handel. Arbeiten Sie mit großen Buchhandelsketten zusammen? Oder mit Drogerien, dem Lebensmitteleinzelhandel und anderen Nebenmarktkunden? Wissen Sie, welche Anforderungen ihre Geschäftspartner an Sie als Verlag stellen? Werden auch Sie schon mit zahllosen Fragebögen überhäuft? Dann könnte eine freiwillige Nachhaltigkeitsberichterstattung nach dem stark vereinfachten und pragmatischen VSME-Standard Abhilfe schaffen. Ganz nach dem Motto: Bitte schauen Sie in unseren Nachhaltigkeitsbericht, da steht alles drin. Und außerdem sind Sie bestens vorbereitet, sobald die Berichtspflichten tatsächlich konkret werden. Der VSME-Standard funktioniert in diesem Fall wie ein Schutzschild. Haben Sie alle Informationen des VSME-Standards parat, kann die Lieferkette Sie mit keinen weiteren Auskunftsanfragen behelligen. Er schützt Sie also vor nicht enden wollenden Anfragen, Fragbögen und nicht standardisierten Datenabfragen.
Der Druck der Banken
Auch Banken und Versicherungen machen Kreditvergabe und Finanzierungskosten zunehmend von Nachhaltigkeitsaspekten abhängig.
Sprich, Sie haben bessere Karten bei den Banken, wenn Sie mit ihrem Nachhaltigkeitsbericht glaubhaft machen können, dass Sie relevante Nachhaltigkeitsrisiken auf dem Schirm haben und sich darum kümmern. Aber auch darüber hinaus ist der proaktive Umgang mit Ihren Unternehmensrisiken wichtig. Denn der Global Risk Report des World Economic Forum zeigt auch im Jahr 2024 wieder, dass ökologische Risiken weiterhin die Risikolandschaft dominieren.
„Please estimate the likely impact (severity) of the following risks over a 2-year and 10-year period." Globale Risiken, angeordnet nach Schwere in Zwei- und Zehnjahresbetrachtung.
Die Experten sind sich einig: Zu den zehn größten Risiken für Unternehmen in den nächsten zehn Jahren gehören Extremwetter, kritische Veränderungen des Erdsystems, der Verlust der Artenvielfalt, der Zusammenbruch von Ökosystemen, die Verknappung von natürlichen Ressourcen sowie Umweltverschmutzung. Wer‘s pragmatisch halten will, packt genau da zuerst an.
Nachhaltigkeit spart Kosten
In vielen Fällen führt eine datenbasierte Steuerung von Nachhaltigkeitsleistungen zu Kostenersparnis und/oder Prozessoptimierungen.
Bei der Produktion von Printprodukten ist es zum Beispiel möglich, dass man CO2e-ärmeres Papier preisneutral oder sogar günstiger einkaufen kann. Wenn man sich mit dem Thema Nachhaltigkeit strategisch beschäftigt, profitiert man außerdem von eine besseren Risikofrüherkennung. Das gilt für potenzielle Risiken (z.B.: klimabezogene Störungen der Lieferkette), aber auch für Wachstumsfelder (innovative, grüne Produkte, mögliche Disruptionen). Auch immer mehr Versicherungen, Banken, Fonds, Investoren und andere Geldgeber achten auf Nachhaltigkeitsaspekte. Ein gutes Nachhaltigkeitsrating verbessert also die Bonität und kann zu besseren Konditionen führen. Eine nachhaltige Ausrichtung hilft, sich bei Kunden, Partnern und potenziellen Mitarbeitenden vom Wettbewerb abzuheben. Gerade in Märkten mit hohem Konkurrenzdruck kann ein nachhaltiges Unternehmensprofil zu Preisprämien, Loyalität und höheren Marktanteilen beitragen. Reputationsvorteile und Vertrauensvorschuss gibt’s obendrauf. Und die Kosten, die wir zu tragen haben, wenn wir Klimaschutz auf die leichte Schulter nehmen, sind dabei noch gar nicht eingerechnet. Betrachtet man also alle Vorteile alle zusammen, lohnt sich eine Investition auf jeden Fall.
Pragmatischer Ansatz, hohe Wirksamkeit
Wenn man seinen Verlag gezielt auf das Thema Nachhaltigkeit vorbereiten will, sollte man sich aktuell vor allem auf die Basisanforderungen konzentrieren.
Dazu zählen
- die Wesentlichkeitsanalyse,
- eine CO2e-Bilanz und
- ein Stakeholder-Dialog.
Diese drei Elemente sind zügig erarbeitet und eine gute Grundlage, um auf pragmatische Art und Weise wirkungsvolle Strategien und Maßnahmen zu definieren und sich seine eigene Roadmap zusammenzubauen. Auf diese Weise kann man alle strategischen und praktischen Vorteile von Nachhaltigkeit nutzen, ist auf mögliche Fragen von Kunden, Geschäfts- und Handelspartnern vorbereitet, ohne sich mit regulatorischen Vorgaben zu beschäftigen, von denen man vielleicht nie betroffen sein wird.
Welche Änderungen der CSRD werden aktuell diskutiert und wie geht’s weiter?
Zur CSRD, dem Umsetzungsgesetz und dem Omnibusverfahren ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, denn bis jetzt handelt es sich nur um einen Vorschlag der EU-Kommission. Das Omnibusverfahren beinhaltet u.a. folgende Änderungen:
Anhebung der Unternehmensschwellenwerte: Unternehmen ab 1000 Mitarbeitenden sollen zukünftig unabhängig von der Kapitalmarktorientierung berichtspflichtig sein.
Alternativer Berichtsstandard: Nicht berichtspflichtige Unternehmen können nach dem deutlich kompakteren VSME-Standard berichten und sich damit vor einer Flut von Datenabfragen durch Geschäftspartner schützen. Der VSME-Standard soll dazu noch formell von der EU-Kommission angenommen werden.
Doppelte Wesentlichkeit: Das Prinzip soll beibehalten werden.
Vereinfachung der ESRS-Standards: Die aktuell gültigen ESRS-Standards zur Erfüllung der CSRD sollen überarbeitet werden,
Prüfungen mit begrenzter Sicherheit: Wirtschaftsprüferinnen und Wirtschaftsprüfer sollen auch langfristig nur mit begrenzter Sicherheit prüfen. Dadurch würde die Nachhaltigkeitsberichterstattung nicht mehr das Niveau der Finanzberichterstattung erreichen
Zwei Jahre Aufschub: Unternehmen, die noch nicht gestartet sind, bekommen zwei Jahre mehr Zeit für die Umsetzung.
Und es gibt auch Argumente, die dafürsprechen, dass es nochmals Änderungen am aktuell veröffentlichten Entwurf der EU-Kommission geben könnte:
Die CSRD ist in vielen Ländern längst umgesetzt: In 20 von 29 EWR-Staaten wurde die CSRD bereits in nationales Recht übertragen. Zehntausende Unternehmen haben mit der Umsetzung begonnen. Eine radikale Änderung würde Millionen an versenkten Investitionen bedeuten.
Die EU kann sich aktuell keine Glaubwürdigkeitskrise erlauben: Die CSRD ist seit zweieinhalb Jahren bekannt, der ESRS-Standard seit anderthalb Jahren. Und Planungssicherheit ist für wirtschaftlichen Erfolg essenziell. Eine plötzliche Kehrtwende ist das Gegenteil von Verlässlichkeit.
Nun wird der Entwurf vom EU-Rat und vom EU-Parlament diskutiert. Erst danach wissen wir mehr.
Fazit: Strategisch denken, klug handeln
Nachhaltigkeit ist keine kurzfristige Pflichtübung, sondern ein zukunftsweisender Erfolgsfaktor. Gerade in unsicheren Zeiten lohnt es sich, kluge strategische Weichen zu stellen. Wer sich jetzt vorbereitet, bleibt wettbewerbsfähig, reduziert Risiken und sichert langfristig seine wirtschaftliche Resilienz. Die Verlagsbranche hat die Möglichkeit hier eine Vorbildfunktion einzunehmen und die eigene Zukunft zu sichern.
Dieser Artikel ist im Original im Themen-Channel »Transformation & Strategie« des DIGITAL PUBLISHING REPORT erschienen.
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