Führung im Wandel: Zwischen Stabilität, Sicherheit und Innovation
Verlage befinden sich in einer dauerhaften Transformationsschleife. In dieser Dynamik ist Führung mehr als Organisation und Steuerung – sie wird zur Kulturleistung. Der ganzheitliche Blick auf Systeme, Beziehungen und Haltungen entscheidet zunehmend darüber, ob Wandel gelingt oder verpufft.
Führung in der Schwebe zwischen Stabilität und Veränderung
Verlage bewegen sich heute in einem Spannungsfeld, das kaum größer sein könnte: Einerseits besteht ein starkes Bedürfnis der Mitarbeitenden nach Stabilität, Sicherheit und Verlässlichkeit – andererseits zwingt der Markt zu radikalem Wandel. Das Tempo digitaler Innovation, die Integration von KI, die Sicherung seiner (Urheber-)Rechte und der Druck, neue Erlösmodelle zu entwickeln, stellen vertraute Routinen in Frage. Diese Ambivalenz ist kein Fehler im System – sie ist das System. Führung muss sie nicht auflösen, sondern bewusst gestalten. Dieser Gedanke meint auch: Spannungen nicht als Störung, sondern als Entwicklungsimpuls zu verstehen. Systemisch betrachtet bewegen sich Führungskräfte in einem Netz aus fachlichen Anforderungen, das geprägt ist von wechselseitigen Erwartungen, Kommunikationsmustern der Organisationskultur. Und hier drängt er sich wieder auf, der vielzitierte Satz von Peter F. Drucker: Culture eats strategy for breakfast. Und kennzeichnet damit eine zentrale Aufgabe von Führung: Kulturen zu schaffen. Führungskultur, Fehlerkultur, Kommunikationskultur, Innovationskultur und mehr.
Neue Führungsrealitäten: Orientierung ohne Gewissheit
Künstliche Intelligenz – auch verstanden als „neuer“ Kollege bzw. neue Kollegin und nicht nur als Werkzeug – ,Crossmedia-Strategien, hybride Teams – kaum eine Organisation kann heute noch auf stabile Strukturen bauen.
Führungskräfte sehen sich mit paradoxen Anforderungen konfrontiert: Sie sollen klar führen, aber partizipativ handeln. Sie sollen Sicherheit vermitteln, aber Veränderung fördern. Systemisches Führen bedeutet hier: Ambiguität anerkennen und auch annehmen. Nicht mehr die Eindeutigkeit zählt, sondern die Fähigkeit, mit Mehrdeutigkeiten souverän umzugehen. Orientierung entsteht weniger durch Ansage als durch Dialog. Führung wird damit zu einem Netzwerkprozess – Entscheidungen werden gemeinsam verhandelt, Perspektiven integriert, und Führungskräfte verstehen sich als Kontextgestalter:innen. Oder anders gefragt: Wie reagieren Sie als Führungskraft, wenn Ihr Team KI als Bedrohung empfindet?
Selbstführung als Basis – innere Klarheit in unsicheren Zeiten
Wer in solchen komplexen Systemen führt, braucht selbst ein stabiles inneres Navigationssystem. In Zeiten, in denen äußere Sicherheit bröckelt, wird die eigene Haltung zur wichtigsten Ressource . Selbstkompetenz umfasst innere Stabilität, Selbstreflexion,Resilienz und emotionale Bewusstheit – Fähigkeiten, die systemische Coaches als 'Führung von innen heraus' beschreiben.
Sozialkompetenz: Beziehungsgestaltung als Führungsinstrument
Führung ist Kommunikation – und Kommunikation ist Beziehung. Gerade in der Medienbranche, wo Inhalte-schaffende Kreativität und technische Umsetzbarkeit in analoge und digitale Produktformen eng zusammengehören, entscheidet der Umgang miteinander über Erfolg oder Misserfolg. Systemisches Denken erweitert den Blick: Es geht nicht darum, mögliche Konflikte zu lösen, sondern das Beziehungssystem zu verstehen, das sie hervorbringt. Konstruktive Konfliktkultur entsteht nicht durch Techniken, sondern durch Präsenz, Empathie und die Bereitschaft, Unterschiedlichkeit auszuhalten.
Fachkompetenz: Strategie, Change und KI bewusst verbinden
Die dritte Zukunftskompetenz liegt im strategischen Denken und in der Fähigkeit, (Zukunfts-)Szenarien zu gestalten und daraus heute argumentationsfähige Entscheidungen für morgen abzuleiten. Besonders die Integration von Künstlicher Intelligenz verändert Prozesse und Beziehungsgefüge: zwischen Mensch und Maschine, Redaktion und Leser:innenschaft. Führung muss diese Wechselwirkungen und Rebound-Effekte frühzeitig erkennen und ethisch, kommunikativ und organisatorisch einordnen und darauf reagieren.
Methodenkompetenz: Struktur und Lernen im Fluss
In unserer Welt, die sich schon immer – aber heute immer schneller – wandelt, wird es vielleicht verführerisch, nach festen Methoden zu suchen, um damit umzugehen. Doch kein Tool ersetzt die Fähigkeit, das System zu lesen. Systemisches Führen bedeutet, Methoden situativ anzuwenden – als Strukturhilfe, nicht als Dogma. Hilfreich ist das Prinzip der lernenden Organisation: Nach jeder Veränderung folgt Reflexion. So wird Entwicklung kontinuierlich und die Organisation bleibt beweglich.
Netzwerke und Beziehungssysteme als Zukunftsressource
Verlage waren und sind immer Netzwerkorganisationen – aber noch nie war Vernetzung so entscheidend wie heute. Und das ist auf der (IT-)technischen wie menschlichen Ebene gleichermaßen gemeint. Nur: Haben wir ein technisches Netzwerkproblem, rufen wir den bzw. die IT-Leiter:in an, und im Idealfall ist nach 20 Minuten das Problem gelöst. Haben wir ein menschliches Netzwerkproblem, ist in der Regel niemand da, den wir als Führungskraft kurzfristig um Abhilfe bitten können. Und die Lösung des Problems dauert meistens deutlich länger als 20 Minuten. Denn systemisch betrachtet, sind organisatorische Netzwerke lebendige Systeme, die sich durch Vertrauen, Resonanz und gemeinsamen Sinn organisieren. Führungskräfte, die in Netzwerken denken, erkennen: Einfluss entsteht nicht durch Macht, sondern durch Beziehung. Und Vertrauen ist schneller zerstört, als aufgebaut.
Führung als kollektive Lernbewegung
In diesem Sinne ist Führung kein Titel, sondern eine Beziehungsleistung. In komplexen Organisationen verteilt sich Führung auf vielen Schultern. Die Aufgabe der formellen Führungskraft verschiebt sich: Sie hält den Raum für kollektives Lernen, ermöglicht Selbstorganisation und -reflexion und fördert Bewusstheit über Wechselwirkungen.
Ein Blick nach vorn: Führung als Zukunftsarbeit
Die kommenden Jahre werden zeigen, dass die großen Fragen der Branche nicht allein technologisch, sondern kulturell sind. Der Einsatz von KI verändert nicht alles, aber sehr vieles. Wie gelingt Sinnstiftung in einer technologisch getriebenen und fragmentierten Medienwelt? Wie bleibt Orientierung erhalten, wenn Märkte volatil und Arbeitsmodelle fluide werden? Führung wird zum zentralen Hebel, um Sicherheit zu schaffen, Komplexität zu gestalten und Zukunftsfähigkeit zu sichern.
Fazit: Führung neu denken – und mutig gestalten
Führung in der Verlagsbranche steht vor einer doppelten Herausforderung: Stabilität sichern und gleichzeitig radikalen Wandel ermöglichen. In dieser Spannung liegt keine Schwäche, sondern die neue Realität – und systemisches Denken bietet einen hilfreichen Kompass. Wer heute führt, muss nicht auf alles eine Antwort haben, sondern die richtigen Fragen stellen können. Nicht Kontrolle schafft Zukunft, sondern Vertrauen, Dialog und Klarheit im Denken wie im Handeln.
Die zentralen Kompetenzen für diese Art von Führung sind:
- Selbstführung: Innere Stabilität als Voraussetzung für äußere Orientierung.
- Beziehungsarbeit: Kommunikation als Kernkompetenz, nicht als Nebenschauplatz.
- Systemisches Denken: Organisationen als lebendige Netzwerke begreifen und gestalten.
- Strategische Weitsicht: KI, Change und Kulturwandel nicht nur technisch, sondern auch menschlich einordnen können.
Wer Führung heute als kollektive Lernbewegung versteht, stärkt nicht nur die Organisation – sondern schafft Räume, in denen Menschen ihre Wirksamkeit erleben können. Zukunftsorientierte Führung beginnt dort, wo Haltung, Reflexion und Beziehungsarbeit zusammenkommen.
Dieser Artikel ist im Original im Themen-Channel »Transformation & Strategie« des DIGITAL PUBLISHING REPORT erschienen.
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