Handlungsfähig bleiben in der Beschaffungskrise

Die Materialbeschaffung für die Buchfertigung wird immer schwieriger. Was jetzt zu tun ist, um kurzfristig gegenzusteuern – und was perspektivisch ratsam ist.

Die Corona-Krise sorgt weiterhin und besonders in Asien für Engpässe und dann aktuell noch der Ukraine-Krieg: Die Materialbeschaffung für die Buchfertigung ist zur echten Herausforderung geworden. Rohstoffe, Vorprodukte und Halbfabrikate sind von Knappheit und Preissteigerungen betroffen, insbesondere Papier und Pappen, aber auch Klebstoffe, Farben und Druckplatten. Hinzu kommen Kostensteigerungen in der Logistik und zudem Probleme durch den teils stockenden Transport.

Eine Reihe von Faktoren sorgt zusätzlich für Unsicherheiten. So hat beispielsweise der fast vier Monate dauernde Papierfabrikenstreik beim UPM-Konzern in Finnland dazu geführt, dass große Mengen an Papier, Pappen und holznahen Produkten auf dem europäischen Markt gefehlt haben. Hinzu kommt, dass seit März sowohl PEFC- als auch FSC-Zertifizierungen für Holz aus Russland und Belarus auf Eis liegen. Holz und Forstprodukte aus diesen Ländern dürfen also vorerst nicht mehr in zertifizierten Produkten verwendet werden und weltweit nicht als zertifiziert verkauft werden. Vor diesem Hintergrund sind wohl auch Preissteigerungen hierzulande zu erwarten, denn Russland ist der größte Lieferant von FSC-Rohstoffen. Verlage müssen auch in dieser Hinsicht die Lage beobachten.

Ebenfalls problematische Auswirkungen könnte die Entscheidung von Stora Enso haben: Der skandinavische Papierhersteller verkauft vier seiner fünf Papierfabriken und will sich stattdessen auf strategische Wachstumsbereiche konzentrieren, zu denen unter anderem erneuerbare Verpackungen gehören. Auch Stora Enso folgt damit einem Trend, der vor mehr als zehn Jahren begonnen hat: Nachdem es lange ein Überangebot an Offset- und grafischen Papieren gab, sind viele Unternehmen stattdessen zur Produktion von Pappe übergegangen oder haben ihre Maschinen stillgelegt.

Neben Material- und Lieferengpässen sind es vor allem die gestiegenen Energiekosten, die von der energieintensiven Papierindustrie an Druckdienstleister weitergegeben werden und letztlich auch Verlage betreffen. In diesem Zusammenhang muss beobachtet werden, welche Auswirkungen ein wie auch immer geartetes Energie-Embargo gegen Russland haben könnte – für die Industrie, Dienstleister und publizierende Unternehmen.

Lösungsperspektiven

Diese komplexe Problemlage fordert Lösungen – kurzfristige ebenso wie perspektivische. Auch wenn sich in der derzeitigen Situation ständig vieles ändert, gibt es hilfreiche Handlungsempfehlungen, die je nach Verlagsgenre, Beschaffungsart und -markt unterschiedlich zu gewichten sind.

Eine große Rolle spielt dabei die Risikoanalyse, mit der jeder Verlag das Gewicht der Auswirkungen für sich selbst bewerten muss. Es gilt, die einzelnen Risiken in der Beschaffung für das Unternehmen zu erkennen, zu quantifizieren und (auch mit den Hauptlieferanten) Lösungen zu skizzieren.

Ratsam ist es, dabei unterschiedliche Beschaffungskanäle und -informationen zu prüfen und stets auch direkt mit den Großhändlern, Papierfabriken und anderen (indirekten) Zulieferern zu sprechen, wie die Situation aus deren Sicht ist. Es lohnt sich, mehrere Quellen anzuzapfen. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass besonders Einkäufer in kleinen und mittelgroßen Verlagen oftmals nur mit einem Mitarbeiter einer Druckerei sprechen. Das ist aber keine valide Markteinschätzung, sondern nur eine singuläre Sichtweise. Ein anderer Drucker sieht die Dinge vielleicht anders, ganz zu schweigen von Papiergroßhändlern und Papierherstellern.

Eine wichtige Rolle spielt auch die Flexibilität beim Materialeinsatz: Reden Sie mit Großhändlern und Druckern deshalb über Papierklassen – nicht über Papiersorten. Hilfreich ist es außerdem, Produktformen und -materialien zu standardisieren, Reservierungen zu setzen und Bedarfe langfristig anzumelden. Aber auch hier bestätigen Ausnahmen die Regel: Das besondere, außergewöhnliche Buch darf nicht verloren gehen.

Ein weiterer Tipp, um Transportkosten und -risiken zu reduzieren: Suchen Sie nach Lösungen, den Beschaffungsmarkt zu verlagern – näher zum Kundenmarkt – und aktualisieren Sie die Total-Cost-of-Ownership-Betrachtung, also die ganzheitliche Kostenbetrachtung. Ganz wichtig ist jetzt, Preiserhöhungen nicht blind zu akzeptieren. Vielmehr sollten Sie um jedes Prozent verhandeln und mit dem Lieferanten überlegen, wo Optimierungen und Einsparungen möglich sind.

Auch die Verhandlungsführung muss weiter professionalisiert werden: Erkennen und verstehen Sie die eigene Verhandlungsposition und erhöhen Sie die eigene Verhandlungsmacht durch Konzentration und Kooperation, indem Sie Einkaufsgemeinschaften bilden. Einige Verlage beginnen nach den Erfahrungen des vorigen Jahres bereits darüber nachzudenken, einen eigenen Papiereinkauf aufzubauen, was über viele Jahre ein Tabu war. Dafür braucht es aber Liquidität und ein gewisses Einkaufsvolumen. Aber selbst für kleine Verlage wäre das über Einkaufskooperationen abzubilden, die in einigen Bereichen sehr sinnvoll sind.

Darüber hinaus gilt es, Rahmenvereinbarungen und Planungssicherheit auf- und auszubauen. Perspektivisch gedacht muss die Beschaffung im Verlag strategisch und langfristig geplant werden. Dazu gehört es, heute schon alle Planungszyklen zu überdenken, dabei längere Vorläufe einzuplanen, sie zu optimieren sowie den Einkauf früher in die Produktentstehung einzubinden. Ermitteln Sie Kostentreiber in den Produkten. Hilfreich ist es, wenn Sie Ineffizienzen in den internen Prozessen und Schnittstellen zu den Lieferanten beheben sowie alle Abläufe digitalisieren, insbesondere mit den Partnern. Wir raten Verlagen in diesem Zusammenhang auch, alle Kalkulationen der kommenden Programme auf den Prüfstand zu stellen und zu aktualisieren. Legen Sie Analysen und Messgrößen fest, das trägt dazu bei, den eigenen Einkauf besser zu verstehen und zu überprüfen.

Innovationen sparen Geld

Die Beschaffungskrise, die aus einem komplexen Ursachenmix resultiert, führt uns vor Augen, wie zentral es ist, dass Verlage ganzheitlich denken und ihre Fragestellungen als Einheit definieren und beantworten. So wie die Corona-Krise keine Krise war, die allein Marketing und Vertrieb betraf, so betrifft die Papierkrise nicht allein die Herstellung und den Einkauf: Wenn Bücher nicht ausgeliefert werden können, wenn sie gar nicht erst gedruckt werden können, dann wird die gesamte Wertschöpfungskette bedroht. Umso mehr lohnt es sich, die Krisen als das zu begreifen, was sie letztlich sind: Chancen zur Organisationsentwicklung, zu mehr Nachhaltigkeit und zur idealen Ressourcenorientierung – nicht nur in Bezug auf Papier und Karton.

STRATEGIEN

Dieser Artikel ist im Original im Juni 2022 im Börsenblatt Sonderheft 2022 erschienen.

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