Die Herstellung der Zukunft

Publisher Consultants hat Produktionsleiter:innen großer Verlage aller Genres befragt, wie sich die wandelnden Geschäftsmodelle, Technologien und Anforderungen auf ihr Haus und ihre Organisation auswirken.
Ihre Antworten sind in einer Serie im Channel Strategie & Transformation von buchreport.de erschienen und geben Auskunft über den Veränderungsdruck sowie über das Spannungsverhältnis zwischen Handwerk und modernem, quasi industriellem Prozessmanagement.

Markus Wilhelm und buchreport-Autor Michael Lemster haben die Einlassungen ausgewertet und systematisiert.


Die Bedürfnisse und Anforderungen der Zielgruppen von Verlagen rücken weiter in den Fokus. Dieser teils neue Blick auf den Markt löst seit einigen Jahren in der Verlagsbranche viele, oft tiefgreifende Veränderungen aus. Ein Teil dieser Veränderungen resultiert aus äußeren Einflüssen. Ein anderer, wachsender, auch aus der eigenen inneren Einsicht, etwas verändern zu müssen, um (wieder) erfolgreich und wettbewerbsfähig zu sein.

Insbesondere die viel zitierte digitale Transformation kommt in zunehmender Geschwindigkeit in den Verlagen an. Vor allem Schul- und Fachverlage legen eine deutlich höhere Geschwindigkeit an den Tag als andere Verlagstypen, wenn es darum geht, die Strategie anzupassen, die eigenen Geschäftsmodelle zu modifizieren und die angewandten Prozesse und eingesetzten IT-Systeme an beides anzupassen.

Kurs auf Komplexität

Die Weiterentwicklung der eigenen Geschäftsmodelle und die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle sind zunehmend notwendig und überlebenswichtig für alle Verlagstypen. Die Produktvielfalt und die Produktarten sowie die möglichen Modelle für die Monetarisierung des eigenen Contents nehmen dabei stetig zu. Für die sogenannten Herstellungsabteilungen gilt es heute, den Content so flexibel wie nötig aufzubereiten, um schnell und kostengünstig die unterschiedlichsten Publikationskanäle bespielen und beliebige Produkte lizenz- und rechtssicher vermarkten zu können.

Zeitgleich mit der Zunahme an Produktformen sinken die Auflagenhöhen im Print. Die Folge sind einerseits wachsender Margendruck, aber vor allem immer komplexere Prozesse bei steigender Qualität. Komplexer werden die Prozesse auch deshalb, weil die Produkte selbst komplexer werden: Immer schneller müssen Produkte mit immer mehr Lieferanten für die unterschiedlichen Produktformen immer kostengünstiger erstellt und in den Verkauf gebracht werden.

Kritische Mission Prozessmanagement

Die Herstellung spielt für die Schaffung, Weiterentwicklung und Steuerung dieser Prozesse eine entscheidende Rolle. Entsprechend wachsen Zahl und missionskritische Qualitätsanforderungen der Aufgaben, die eine Herstellungsabteilung heute zu meistern hat:

Gutes Handwerk genügt nicht mehr

Eine Herstellungsabteilung, die diesen Kernherausforderungen nur bedingt oder gar nicht gewachsen ist, kann den Verlag heute kaum in geeigneter und notwendiger Weise auf dem Weg zur Umsetzung der Strategie, der Weiterentwicklung der Geschäftsmodelle und der digitalen Transformation unterstützen. Bleibt eine Herstellung in einem traditionell handwerklichen Denken und Handeln verhaftet – will sagen: versteht sie sich primär als dienender Bereich der Gestaltung sowie der Auftragsvergabe und -abwicklung –, so entsteht eine wachsende Know-how-Leerstelle. Wachsend deswegen, weil das verfügbare Wissen über herstellerische Prozesse und Systeme ähnlich exponentiell zunimmt wie das Wissen schlechthin. Eine Stagnation oder ein Vakuum in diesem Bereich wird im Laufe der Zeit zum Risiko und irgendwann zur existenziellen Gefahr für den gesamten Verlag.

Um Missverständnisse zu vermeiden: Technologie ist nicht der entscheidende Punkt! Fachwissen ist nicht der entscheidende Punkt! Aus der oben aufgeführten Aufstellung von herstellerischen Kernkompetenzen wird vielmehr eines deutlich: Die Herstellung ist mehr denn je eine Managementaufgabe und nicht die einer Design- und Gestaltungsschmiede. Es gilt, den Entstehungsprozess aller Produktformen effizient mit den richtigen Systemen und mit allen internen und externen Beteiligten im Spannungsfeld von Zeit, Kosten und Qualität zu managen. Auf den Punkt gebracht: Herstellung ist Produktionsmanagement.

Für das gelten folgende Anforderungen:

Die Entwertung des Erfahrungswissens 

Die Verlagsbranche ist eine der ältesten Branchen der Welt mit Unternehmen, deren Geschichte zwei-, drei-, vierhundert oder noch mehr Jahre zurückreicht. Sie sind zu Recht stolz auf diese Tradition, auf die Wandlungen ihres Geschäftsmodells in diesen Jahrhunderten und auf die Manager, die in der Lage waren, diesen Wandel zu antizipieren, zu gestalten und zusammen mit ihren Teams zu realisieren. Stellt aber heute jemand, von außen kommend, die Sinnhaftigkeit dieses oder jenes Arbeitsprozesses, dieser oder jener Entscheidung infrage, dann wird der Rekurs auf das in dieser Zeit angesammelte „Erfahrungswissen“ zum Mantra.

Erfahrungswissen ist an vielen Stellen kostbar, es darf aber niemals zur Rechtfertigung für Langsamkeit oder Stillstand werden. Wissen schlägt Erfahrung. Der Aufbau von Wissen und die Fähigkeit, dieses Wissen zu teilen und praktisch anzuwenden, fördert Innovation dort, wo sie gebraucht wird. Und sie wird in weiten Bereichen dringend gebraucht – gerade in der Herstellungsabteilung.

Herstellung bleibt Kernkompetenz

Herstellung muss (technischer) Innovator und Kernbereich im Verlag bleiben. Das kann sie aber nur sein, wenn sie sich im Sinne eines dynamischen Produktionsmanagements entsprechend den Anforderungen des Kunden und des Marktes weiterentwickelt und stetig in allen relevanten Disziplinen auf der Höhe der Zeit bleibt. Und wir müssen davon ausgehen, dass die Zeit alles andere tut, als stillzustehen.

Daneben existiert – natürlich – ein operatives Produktionsmanagement, in dessen Kern die Aufgabe steht, einem bestimmten Inhalt die aus Kundensicht optimal wertschöpfende typografische und industrielle Form zu geben, den Prozess dieser Formgebung zu steuern sowie all die Beiträge so gut und günstig wie möglich einzukaufen, die der Verlag zu dieser Formgebung nicht selbst leisten kann.

Welche Aufgaben das Produktionsmanagement in diesem Prozess im Einzelnen sinnvollerweise übernimmt, hängt vom Verlagsgenre ab – die Verantwortlichkeit für das gesamte Produktionsmanagement aber ist im Verlag selbst am besten aufgehoben.

Die Zukunft des Produktionsmanagements liegt in standardisierten und weitestgehend automatisierten Prozessen, die stark systemgestützt Content so granular aufbereiten, dass Produktarchitekten und die Endkunden selbst beliebige Produkte kreieren können. Teils wird es aber auch darum gehen, dem gleichen Content beliebige Ausgabeformen zu geben und diese in kurzer Zeit zur Marktreife zu bringen. Auf Basis digitaler Prozessstandards wird die gesamte Wertschöpfungskette miteinander vernetzt im Sinne des bekannten Tim-Cole-Zitats: „Alles, was sich digitalisieren lässt, wird digitalisiert, alles was sich vernetzen lässt, wird vernetzt – und das verändert alles.“

Supply-Chain-Lösungen, Technologien und Prozesse sind und müssen einer fortlaufenden Anpassung unterzogen werden. Fachwissen bleibt wichtig, aber die erfolgskritischen Faktoren sind Datenmanagement, Automatisierung und Controlling sowie die Bereitschaft und Fähigkeit, sich ständig zu entwickeln und zu verändern.

Die Interviews:

Die alten Herstellerwerte ins Jetzt holen, Stephan Huber, C.H. Beck.

Ein wichtiges Mandat bei der Optimierung der internen Prozesse, Ellen Böckmann, Cornelsen.

Für die Brand Loyalty der Zielgruppe ist Print unverzichtbar, Olaf Deconinck, MairDumont.

Eine Abteilung zur Realisierung von Ideen, Carsten Schwab, Diogenes.

Dieser Artikel ist im Original am 29.08.19 im Buchreport-Channel Strategie & Transformation erschienen.

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