Ganzheitlich aus der Krise: Chancen für Vertrieb & Marketing

Die Anzeichen für ein Ende der Coronakrise mehren sich. Doch was folgt? Ein Zurück zum Gewohnten? Oder nehmen wir die Impulse auf, die sie uns versetzt hat?

Besonders stellt sich diese Frage bei der Vermarktung. Denn Corona zeigt, wie kritisch Störungen hier für Verlage werden. Auf den Prüfstand gehören daher alle Vertriebs- und Marketing-Maßnahmen und ihr Zusammenspiel, ja sogar das Zusammenspiel zwischen Vermarktung und Produktentwicklung.


Die Coronakrise hat einige Themen ins Scheinwerferlicht gerückt, die viele Verlage schon länger beschäftigen, aber jetzt an Dringlichkeit gewonnen haben.

Vor allem für Verlagshäuser, die in Vertrieb und Marketing stark mit dem Buchhandel zusammenarbeiten, rückt dabei die doppelte Kundenbindung in den Fokus. Denn diese Verlage haben zwei Zielgruppen, Handel und Leser, für die jeweils unterschiedlichen Bereiche, Vertrieb und Marketing, verantwortlich sind.

Beide Bereiche müssen nun auf ihren Feldern an der Kundenbindung arbeiten:

Herausforderungen

Manchmal entsteht Disruption nicht durch neue Wettbewerber, sondern durch umfassende Verwerfungen im gesamten Markt. Die Coronakrise führt zu derartigen Verwerfungen, die mit der letztlichen Aufhebung aller Abstandsregeln nicht wieder zurück auf einen alten „Normalwert“ gehen werden. Diese Verwerfungen, die auf verschiedenen Feldern sichtbar werden, gilt es zu managen.

Lösungsansätze

Jeder Leser, jeder Buchhandels-Kunde, jeder Autor, jedes Buch konfrontiert uns mit individuellen Anforderungen. Diese zu erfassen, zu verstehen, darauf zu antworten und sich trotzdem nicht zu verzetteln, ist eine zentrale Herausforderung. Es hilft nichts: Wir müssen unsere Kunden besser kennenlernen – Buchhandelskunden, Leser, Fans – um zu erfassen, was ihre Bedürfnisse sind, welche Ansprache die richtige ist und wie wir diese Verbindung möglichst produktiv nutzen können.

Während man einst die Gießkannen-Strategie der Vermarktung aus „Alle kriegen ein bisschen was, egal was“ verfolgte und zwischendurch die Gartenschlauch-Strategie „Alles auf einen“ en vogue war, gilt es heute zu überlegen, welcher Mittelweg der richtige ist. In der Coronakrise konnte man anhand einiger rasch gestrickter Social-Media-Aktionen erahnen, wie wenig strategisch es in der Vermarktung zugehen kann, wenn der Druck hoch ist. Gleichzeitig ist in Zeiten rückläufiger Frequenzen auf den Flaniermeilen zu befürchten, dass das Konzept „WKZ“ an seine Grenzen kommt und der Vermarktung diese finanziellen Mittel fehlen werden. Aber auch die übrigen Kontakt- und Vermarktungs-Kanäle der Verlage müssen sich einer genauen Überprüfung stellen.

Dazu gehört auch das Thema der Messbarkeit: Welche Maßnahme wird zu welchem Zweck ergriffen, welcher Strategie folgen die Maßnahmen und woran wird gemessen, inwieweit sie auf das Vermarktungsziel einzahlen? Was sind die Indikatoren für Erfolg? Sich diesen Fragen mit Offenheit zu stellen und das auf den Prüfstand zu stellen, was getan wird, „weil es immer schon so gemacht wird“, ohne dass noch jemand den Grund kennt, ist eine zentrale Aufgabe in der Vermarktung, genauso wie die Frage, ob die möglichen Alternativ-Maßnahmen überhaupt bekannt sind und angewandt werden können.

Vertrieb und Marketing müssen ganzheitlich gedacht werden und in letzter Konsequenz bedeutet diese Herangehensweise auch, dass der Bereich der „Produktentwicklung“ in den Fokus gerät. Denn auch Programmmacher haben jemanden im Sinn: den Autor und den Leser. Diese unterschiedlichen Bedürfnisse in Einklang zu bringen ist eine Kommunikationsleistung die eingeübt werden muss, die Commitments erfordert und gemeinsames strategisches Denken.

Es ist wichtig, sich den o.g. Fragen ehrlich, offen und konsequent zu stellen. Die Fokussierung auf die Zielgruppen und ihre Bedürfnisse hat auf viele Bereiche Auswirkungen. Welche Kriterien leiten uns in unserer Produktplanung? Haben wir die richtigen Strukturen und Kommunikationswege, um ganzheitlich Strategien zu entwickeln? Ist es uns möglich, aus einem ausschließlich abteilungsbezogenen Denken auszubrechen? Haben wir die dafür geeigneten Wege des Umgangs miteinander? Sind wir agil genug? Wer wird zu welchem Zeitpunkt einbezogen? Welche Rolle spielen die Autoren? Und wie gelingt es uns, die Vielzahl von Einzelstimmen zu orchestrieren?

Die Antworten auf diese Fragen können schmerzhaft sein, aber sie bedeuten den Einstieg in eine umfassendere Form der Vermarktung, die am Ende zielführend sein wird.

Ein systemisches Denken in Produktlebenszyklen ist erforderlich. Das bedingt die Erkenntnis, dass der Vermarktungsprozess ein ganzheitlicher Prozess ist. Inwieweit diese Erkenntnis Wurzeln geschlagen hat, ist daran zu erkennen, ob Zielgruppenwissen zwischen den Bereichen rückgekoppelt wird. Inwieweit allen bewusst ist, ob sie Produkte für eine Zielgruppe finden oder wir Zielgruppen für die Produkte finden. Damit dieses Denken auch wirksam wird, gilt es passende Strukturen zu schaffen.

Umsetzung

Viele der angerissenen Fragestellungen treten dem Kern dessen, was Verlage tun und weshalb, sehr nahe. Die Auseinandersetzung mit ihnen kann schwierig sein und bedarf einer guten Führung und ggf. Moderation.

Hilfreich ist immer, mit kleinen Schritten zu beginnen und sich zu gönnen, den eigenen Arbeitsbereich aus neuen Perspektiven zu betrachten, auch wenn wir ihn nicht auf der „grünen Wiese“ gestalten. Corona fordert uns heraus, die zentralen Bausteine unserer Arbeit nochmal neu zu denken und zu hinterfragen. Am Anfang steht daher das Fragen: Die Kunden fragen, was sie brauchen. Wie sie sich vorstellen, dass ihnen in Zukunft die Verlagsprodukte vorgestellt werden, wenn der Vertreterbesuch vielleicht ausfällt, die Börse vielleicht nur per Videokonferenz stattfindet. Die Filialisten nach ihren Strategien befragen und den Mut haben, individuelle Wege zu gehen, maßgeschneidert auf die Kundengruppen, die die Verlage einzeln für sich definieren. Und auch Leser kann man direkt fragen. Und auch Autoren. Dadurch ergibt sich eine konkrete Bestandsaufnahme, auf deren Basis weitergearbeitet werden kann.

Ein erster Schritt könnte folgender sein: Überlegen Sie sich drei offene Fragen an Ihre Kunden und beauftragen Sie jeden (Vertriebs-) Mitarbeiter, nur EINEN Kunden zu kontaktieren und ihm diese Fragen zu stellen. Aus den Antworten wird sich ein Blumenstrauß an Bedürfnissen ergeben. Schreiben Sie diese Bedürfnisse auf Karten und clustern Sie sie: Wo gibt es Überschneidungen? Was ist individuell? Wie begegnen Sie diesen Bedürfnissen? Gibt es schon eingeübte Vorgehensweisen? Funktionieren diese? Ausgehend davon lassen sich erste Schritte ableiten, die dann wiederum auf größere Kundengruppen mit ähnlichen Bedürfnissen angewendet werden können.

Gleichzeitig müssen gemeinsame Kriterien für stabile Entscheidungen gefunden werden, und die damit verbundenen Maßstäbe für professionelles Arbeiten müssen auf den Prüfstand. Anders ergeben die vielen Fragen nur eine Kakophonie der Antworten, die zu weniger Commitment und nicht zu besseren Ergebnissen führt. Sich gemeinsam zum Beispiel Wissen über Zielgruppen zu erarbeiten, kann helfen, die Basis zu legen für eine gemeinsame Bewertung von Marketing- und Vertriebsfragen oder auch für bessere Produktentscheidungen.

Ist dieses Fundament stabil, dürften auch Diskussionen über Strategien, neue Prozesse und das Verlassen der eigenen Abteilungs-„Schrebergärten“ nicht mehr erschütternd, sondern inspirierend wirken. Ein erster Schritt könnte sein, sich gemeinsam zu vergegenwärtigen, welches Bild entsteht, wenn Sie an die potenziellen Käuferinnen und Käufer Ihrer Produkte denken. Haben alle dasselbe Bild im Kopf?

Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, sich dem Thema Zielgruppen zu nähern. Dabei ist eigentlich egal, mit welcher Methode Sie einsteigen, Hauptsache, Sie beginnen, darüber (konkreter) nachzudenken. Egal ob Sinus, Limbic, Design Thinking, qualitative Marktforschung oder die spontane Erstellung von Personas, die dann um datenbasierte Erkenntnisse ergänzt werden: Die Diskussion über die Menschen, mit denen Sie es zu tun haben – Leser, Buchhändler, Fans – führt zur Konkretisierung der Gedanken in Richtung Vermarktungs- , Verkaufs- und Produktstrategie. Ein erster Schritt kann hier sein, sich gemeinsam den prototypischen Leser vorzustellen, zunächst völlig ungestützt – eine Kreativitätsübung! Schreiben Sie auf Karten, wie Sie sich diese Person vorstellen, malen Sie ein möglichst buntes Bild. Sie werden schnell entdecken, wo es Differenzen gibt. Sind diese diskutiert und ausgeräumt, können sich Vermarktungs- und Produktentwicklung fokussieren, Abläufe und Prozesse werden stringenter.

Fazit

Die Krise zwingt uns, schnell zu handeln und Antworten zu finden auf Fragen, die schon lange im Raum stehen. Die Herausforderung ist es, diesen Druck nicht beängstigend zu finden, sondern zu nutzen. Der Schwung ist da, die Branche hat sich selbst durch zahlreiche positive Aktionen und Ideen einen Ruck gegeben, jetzt gilt es, diesen Ruck als nachhaltigen Impuls aufzugreifen und los- bzw. weiterzulaufen.

Dieser Artikel ist im Original am 28.05.20 im Buchreport-Channel Strategie & Transformation erschienen.

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