Bye-bye, Wachstum!

Netflix & Co. stehlen unsere Bücherlesezeit. Die Inflation killt unsere Preiserhöhungsstrategien. Und der demographische Wandel raubt uns die letzten verbleibenden Fachkräfte. In der Verlagsbranche stehen alle Zeichen auf „kleinere Brötchen“. Warum nur halten wir am Umsatzwachstum als einzig seligmachendem Instrument zur Bewältigung der Krise so fest, als würde uns nichts anderes einfallen?

So viel haben wir schon geschrieben und gelesen über den Erhalt unseres Geschäftsmodells. Mehr Bücher schneller verkaufen. Weniger Bücher besser verkaufen. Andere Bücher anders verkaufen. Und doch stehen wir immer wieder vor der gleichen Frage: Wie erhalten wir uns als Verlage, als Unternehmen, als Institutionen der Kultur dieses Landes in einem schrumpfenden Markt mit idealerweise geringem Schmerz, wenig Veränderung und kleinen Abstrichen? Die Antwort bleibt immer gleich: Es wird so nicht gehen. Der Schmerz wird groß, die Veränderung allgegenwärtig und die Abstriche vorhanden sein.

Das Hauptsache-Kopf-über-Wasser-Modell

Mit der Zeit kann man genervt und entmutigt sein von dem Thema, der Ausweglosigkeit, die darin steckt, der Unausweichlichkeit, mit der es unsere Zukunft bedroht.

Einerseits scheinen nicht primär auf Wachstum ausgerichtete Geschäftsmodelle möglich, es gibt viele Beispiele. Unternehmen wie das der damaligen Trendsetterin Sina Trinkwalder, die schon 2010 mit Manomama eine Firma gründete, deren erklärtes Ziel der Erhalt des Bestehenden, das Ernähren-Können der Beschäftigten war. Parallel ist diese Version des Wirtschaftens in Zeiten der Krise häufig das einzige Mittel der Wahl. Die Not vieler mittlerer und kleiner Verlage ausgelöst durch Corona und die Kostenexplosion in allen Bereichen führt dazu, dass das Hauptsache-Kopf-über-Wasser-Modell inzwischen bei vielen das erzwungene und nicht das erwählte Geschäftsmodell darstellt.

Andererseits stellt sich die Frage, wie ein Geschäftsmodell ohne Wachstum, ohne nennenswerte Rendite mit dem reinen Zweck des Selbsterhalts Innovationen hervorbringen will, Spielraum für Neues, Risikobereitschaft und Mut zum Unbekannten. Kreativität und Experiment muss man sich leisten können und wie soll das gehen, wenn wir nur noch „auf Kante“ nähen? Zudem stecken nun mal große Teile der Branche in Konglomeraten fest, die sich die Frage, ob sie das Streben nach Rendite-Wachstum für sinnvoll halten oder nicht, gar nicht mehr stellen können. Zu gigantisch sind die Ausmaße, die Medienkonzerne angenommen haben, zu fest die Strukturen und Glaubenssätze.

KI und qualitatives Wachstum

Und jetzt? Neuerdings neigen wir ja dazu, komplexe Fragestellungen an die KI auszulagern. Doch selbst Chat GPI als vermeintlich kongeniales Mastermind, hat nur Schlagworte parat, die dann nur noch mehr nerven: Kundenorientierung, digitale Transformation, Zusammenarbeit und Partnerschaft, Innovationskultur, Internationalisierung. Ja, ja.

Die Tatsache allerdings, dass wir inzwischen Tools befragen können, dass die KI so offensiv Einzug in unser Leben und Arbeiten gehalten hat, das ganze Thema Chat GPI & Co deutet durch seine bloße Existenz auf einen dritten Weg hin.

Angenommen, nicht nur gestresste Teilzeit-Autorinnen nehmen die Hilfe einer KI in Anspruch, sondern ganze verlegende Unternehmen. Verkaufsargumente, Vorschautexte, Produktinformationen – all das kann und wird in Zukunft nicht mehr die Unterstützung eines menschlichen Gehirns benötigen. Höchstens am Schluss. Denn irgendeiner muss ja noch prüfen, was der Bot da verzapft hat. Und hier liegt die Möglichkeit für Wachstum.

Das Wachstum der Zukunft bedeutet, in Sachen Qualität zu wachsen, Dinge besser zu machen, durchdachter, gesamtheitlicher. Durch den Einsatz künstlicher Intelligenz werden sich noch weitere Teile unserer Geschäftsmodelle in Luft auflösen, die Hör- und Ebook-Produktion wird sich grundlegend verändern, der genregetriebene Bereich der Unterhaltung beherbergt vielleicht dann den einen oder anderen Bot und im Bereich der Lehrmaterialien ist der Einsatz von KI schon heute denkbar bis üblich.

Das bedeutet für publizierende Unternehmen, die Qualität zur Maxime des Handelns zu machen, in der Ausbildung und beim Recruiting, bei der Akquise und in der Vermittlung, bei der Produktpositionierung und in der Unternehmenskultur. Wir sind aufgefordert, Qualität inhaltlich zu verstehen als eine Messgröße, die Wachstum jenseits des „Immer Mehr“ ermöglicht aus einer Haltung heraus, die Wachstum nicht als eine Erhöhung der Schlagzahl versteht, sondern als eine Optimierung der Zukunftsfähigkeit für uns und die folgenden Generationen.

Welche Dinge lassen wir in Zukunft im Sinne einer Ex-Novation?

Dinge besser machen, qualitätvoller, durchdachter und im originären Sinne nachhaltig, kann ein dritter Weg sein aus dem Wachstumsdilemma dieser Branche. Nur, was ökologisch, ökonomisch und sozial sinnvoll, qualitätsvoll und für die Zukunft tragfähig ist, sollte Teil unserer Geschäftsmodelle der Zukunft sein. Was bringt uns weiter im Sinne von Innovation und welche Dinge lassen wir in Zukunft im Sinne einer Ex-Novation, also dem Abschaffen und Beenden von Praktiken, Technologien und Systemen, die im Sinne der Nachhaltigkeit nicht mehr zielführend sind und was – und darüber reden wir im Veränderungsprozess oft zu wenig – was zu Teufel behalten wir, weil es schon immer gut und nachhaltig ist, so wie Oma Gertruds Apfelbrot schon immer vegan war?

Diese Fragen sollten wir uns stellen und die Antworten werden hoffnungsfroher sein und motivierend als die Klagen, die wir heute führen. Die Antworten werden Spaß machen und Spaß ist das, was bei all dem Lamento am Ende oft fehlt. Wir wissen schon viel, die Erkenntnis ist da. Jetzt gilt es, loszulaufen und (daran) zu wachsen.

Dieser Artikel ist im Original am 14.04.23 im Börsenblatt erschienen.

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