BPMN: Systeme verwalten oder Prozesse managen?

Jede größere IT-Neubeschaffung wirft die Frage auf: einen alles erschlagenden Software-Monolithen oder einen neuen Flicken auf dem Flickenteppich? 

Wer in Prozessen statt in Systemen denkt, dem stellt sich diese Frage überhaupt nicht. Er hat verstanden, dass ein Nachdenken bereits weit vor dem Lastenheft, der Anforderungsbeschreibung für ein Softwaresystem, erforderlich ist – nämlich dann, wenn es gilt, den gewünschten Ablauf zu definieren, den die Software sicherstellen soll.

Das ist mit der richtigen Methode gar nicht so aufwändig. Prozessanalyse und Business Process Engineering sind heute durch eine standardisierte Sprache und durch passende Werkzeuge erheblich leichter als früher. Auch sind sie die Basis für einen Ersatz manueller durch automatisch ablaufende und daher sichere und wirtschaftliche Prozessschritte.

Problemstellung

Früher – ja, zugegeben, auch heute – gab es Medienbrüche. Titel werden eine Weile in einer gewissen Form bearbeitet, dann folgt die nächste Verarbeitungsstufe und es beginnt ein neues Spiel mit ganz anderen Formaten und Darstellungen. Diese Form der Bearbeitung haben wir – zumindest theoretisch – überwunden durch „neue“ Technologien, zum Beispiel XML und Contentmanagementsysteme. Doch der technische Fortschritt schreitet voran:

Der Medienbruch von heute ist der Prozessbruch:

Gern sind es organisatorische Einheiten, die diese Brüche verursachen: Naheliegendes wie „Redaktion übergibt an Herstellung“, oder Schwierigeres wie „Programmplanung übergibt an Vertrieb oder Marketing“. Ähnliches passiert auch bei der Handhabung der verschiedenen Produktformen. Digitale Produkte und ihre analogen Pendants werden komplett verschieden gehandhabt. All diesen Brüchen ist gemein, dass ähnliche oder aufeinanderfolgende Prozessschritte mit verschiedenen Methoden oder Systemen abgewickelt werden.

Die Probleme, die dieser Umstand aufwirft, sind die gleichen wie bei den Medienbrüchen: Es gibt keine durchgängige, einheitliche Bearbeitung, es sind mehr Systeme im Einsatz, als eigentlich erforderlich, und ein übergreifendes Controlling und Reporting wird schwierig.

Erste Schritte

Aber es gibt hoffnungsvolle Ansätze: Mittlerweile verfügen wir über Methoden und Technologien, die eine praxisgerechte Erstellung von Prozessdokumentationen erlauben und die brauchbare Modellierung von Ist- und Sollprozessen unterstützen, etwa:

Die Bereichssysteme funktionieren gut, sie bilden alle vorstellbaren Situationen hinreichend ab. Sie unterstützen die Prozesse in ihrem Kerngebiet – aber eben nur in ihrem Kerngebiet.

Die Einhaltung der übergreifenden Prozessketten wird „irgendwie“ sichergestellt, mit Prozesshandbüchern, Reportingsystemen, Kommunikation, Telefon, E-Mail usw.

Die Zeit der großen Monolithen ist vorbei, ihre Komplexität und trotzdem mangelnde Flexibilität macht ihnen grade den Garaus. Aber ihr Versprechen, alles miteinander zu verbinden, ist nach wie vor verlockend.

Es ist also an der Zeit, mal wieder das große Ganze zu betrachten.

Ferne Ziele

Wir stellen den Gesamtprozess in den Mittelpunkt und nicht die Systeme für die Teilprozesse. Das angestrebte Ergebnis ist eine modulare (also ausbau- und veränderbare) Prozesslandkarte der ganzen Firma, die durch ein übergreifendes Prozesssystem unterstützt wird. Die Teilsysteme sind nicht mehr autark, sondern werden übergreifend gesteuert – und nicht nur mit Daten versorgt.

Eine solche prozessorientierte Vorgehensweise bietet eine Reihe von Vorteilen:

Wie gesagt, ferne Ziele. Es sind noch einige Voraussetzungen zu schaffen.

Was fehlt noch?

Die Antwort auf die Frage, wie Prozesse beschrieben werden, ist fürs erste gegeben: mit BPMN (Business Process Modelling Notation). BPMN ist ein Standard und hält alles bereit, was für die Prozessmodellierung und -automatisierung erforderlich ist. BPMN ist mittlerweile angereichert durch weitere Techniken zur Entscheidungsdefinition und die Möglichkeit, mit Ausnahmen von der definierten Prozesswelt umzugehen.

Und es gibt Systeme, die BPMN-Dateien „abspielen“ können. Was heißt „abspielen“ in diesem Zusammenhang?

Nehmen wir einen Bucherstellungsprozess, der von der Idee bis zur Makulierung beschrieben ist. Jeder Titel durchläuft verschiedene Stationen (Autor, Redaktion, Herstellung, etc.), die ihren Beitrag zu dem Prozess leisten. Aber auch Vertrieb/Marketing und Finanzen leistet einen Beitrag, wenn es etwa um die Kalkulation und um Freigaben geht. Das Prozessmodell kennt all diese Schritte und die Bedingungen, um von einer Station zur nächsten zu gelangen. Es kann auch Aufgaben einem System oder einem Menschen zur Bearbeitung zuweisen.

Jeder Titel ist also eine Instanz, die einen vorgegebenen Prozess durchläuft. Er befindet sich immer in einem definierten Zustand, oder auch mehreren, wenn verschiedene Abteilungen gleichzeitig daran arbeiten. Das Prozessmanagementsystem initiiert, überwacht und steuert alle Prozessinstanzen und berichtet über den Zustand der einzelnen Vorgänge.

Prozessmanagementsysteme gibt es mittlerweile eine ganze Reihe, Camunda, Bizagi, Activiti oder jBPM – jedes wendet sich an eine Vielzahl von Branchen, denn Prozesse sind überall zu managen.



Beispiel für einen abteilungsübergreifenden Prozess in BPMN

Auch die Bereichssysteme müssen mitspielen, sprich, sie müssen sich durch das Prozesssystem fernsteuern lassen. Sie müssen hinnehmen, dass sie nicht mehr der Nabel der Welt sind, sondern Befehlsempfänger eines übergeordneten Systems. Dazu bedarf es Schnittstellen, die dies auf einfache und einheitliche Art unterstützen (zum Beispiel REST) – die proprietäre Schnittstelle hat ausgedient.

Wer schon mal versucht hat, etwa einen Webshop mit einem ERP-System zu koppeln, weiß dass hier Stöckchen warten, über die es zu springen gilt …

Teilnehmer am Prozess sind also sowohl Menschen als auch Systeme. Beide werden gleichermaßen „gesteuert“ – die einen über Hinweise, E-Mails, Reports u.ä., um die anstehenden manuellen Aufgaben anzuzeigen, die anderen eben über technische Schnittstellen. Der Koordinator ist in beiden Fällen das Prozessmanagementsystem

Wie geht es weiter?

Die prozessorientierte Herangehensweise erlaubt es Ihnen, die verschiedenen Teilsysteme und Abläufe als Gesamtheit zu betrachten und so miteinander zu verbinden, dass ein störungsfreier, bereichsübergreifender Gesamtprozess entsteht. Dies hilft gerade kleineren und mittleren Unternehmen, die gesamte Spannbreite an Systemen und Abläufen zu unterstützen, ohne sich der Gefahr übergewichtiger „Standardsysteme“ auszusetzen. Dies geschieht durch eine intelligente Architektur Ihrer Prozesslandschaft und deren Steuerung – doch das ist Gegenstand eines anderen Artikels.

Konkret:

Dieser Artikel ist im Original am 15.08.19 im Buchreport-Channel Strategie & Transformation erschienen.

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