Warum kein Verlag am Thema Nachhaltigkeit vorbeikommt

Deutschland hat sich als Motor der weltweiten Bewegung hin zur Klimaneutralität und Nachhaltigkeit positioniert,
hat länderübergreifende Regularien dieses Problemfeldes angestoßen und bemüht sich, trotz schwieriger politischer und ökonomischer Bedingungen dieser Positionierung gerecht zu werden.
Zahlreiche Branchen der deutschen Wirtschaft haben sich aufgemacht, zu deklinieren, was Nachhaltigkeit in ihrem spezifischen Kontext bedeutet, und ihren Unternehmen »Anfasser« bereitzustellen, die eine einfache Definition und Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen ermöglichen sollen.

Das entsprechende Werkzeug der deutschen Verlagsindustrie ist der auf dem Deutschen Nachhaltigkeitskodex basierende Branchenleitfaden für Verlage.
Dieser Branchenleitfaden wurde von einer Arbeitsgemeinschaft unter Anleitung der Beratungsgesellschaft Publisher Consultants erarbeitet. Beteiligt an der Entstehung waren der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, Bonnier Media, C.H. Beck, das Druckunternehmen CPI, das Kulturkaufhaus Dussmann, das Software- und Beratungshaus Klopotek Publishing Solutions, Leipa Papier, Random House und der Tessloff Verlag.

Tessloff-Verlegerin Katja Meinecke-Meurer und Publisher Consultants-CEO Markus Wilhelm haben sich in Theorie und Praxis intensiv mit den komplexen Regelwerken befasst und zeigen im Gespräch gangbare Wege zur Nachhaltigkeit im Verlag auf.

Was ist aus Ihrer Sicht unternehmerisches Denken und Handeln im Jahr 2024? Und wie definieren Sie eine nachhaltige Unternehmensführung in diesem Sinne?  

Katja Meinecke-Meurer: Ich bin davon überzeugt, dass Unternehmensführung heute nicht mehr ohne die strategische Dimension der Nachhaltigkeit stattfinden kann – aus drei Gründen, die auch gleichzeitig die drei Ebenen der Nachhaltigkeit abbilden: 

Erstens die ökologische Verantwortung. Der Global Risk Report des Weltwirtschaftsforums hat es gerade erneut deutlich gemacht: Wir bewegen uns im Eiltempo auf einen ökologischen Kipppunkt zu, der für unsere Ökosysteme, für die Gesellschaft und damit für Unternehmen hohe Risiken birgt. Hier gilt es dringend zu handeln. Als Unternehmen haben wir einen großen Einfluss und eine hohe Verantwortung für einen zukunftsfähigen Umgang mit Ressourcen, der Reduzierung von Umweltverschmutzung und den Schutz unserer Ökosysteme.  

Zweitens die ökonomische Verantwortung. Wir müssen als Unternehmen, aber auch als Gesellschaft, verstehen, dass eine stabile und gesunde Wirtschaft und alles, was daran hängt, nur funktioniert, wenn wir aufhören mehr zu verbrauchen, als wir besitzen. Wir sind mitten in einer Transformation zu einer Kreislaufwirtschaft. Wer dies nicht in seine Unternehmensstrategie einbezieht und keinen Raum für Veränderung und Zukunftsinnovation schafft, wird mittelfristig nicht bestehen können.  

Drittens die soziale Verantwortung. Wer von uns möchte nicht in einem fairen Umfeld arbeiten? Und wer möchte nicht, dass die nachfolgenden Generationen in einer gesunden Lebensumgebung aufwachsen?  

Eines halte ich für essenziell wichtig: Die Zeit von Unternehmensstrategien, die auf kurzfristige Erfolge ausgelegt sind, ist vorbei. Die »Geiz ist geil«-Mentalität hat sich selbst zerstört. Unternehmen müssen nachhaltig handeln, um in diesen extrem dynamischen Zeiten am Markt zu bestehen. Und es gilt natürlich auch, an die nächste und übernächste Generation zu denken – und angesichts der aktuellen Phase der Instabilität trotzdem agil und resilient zu bleiben.  

Wie navigieren Sie durch den Dschungel an Richtlinien, Verordnungen und Gesetzen und finden heraus, was für Ihr Unternehmen relevant ist?  

Markus Wilhelm: Es ist tatsächlich nicht ganz einfach, in der Dynamik der gesetzlichen und regulatorischen Entwicklung den Überblick zu behalten. Wir haben ja ganz tagesaktuell erlebt, dass z. B. die geplante CSDDD etwas unerwartet von Deutschland auf europäischer Ebene ausgebremst wird und somit wieder ein Stück Unklarheit entsteht. 

Um die Frage aber zu beantworten: Man sollte sich intensiv und über sehr verschiedene Quellen auf dem aktuellsten Stand halten und abgleichen, was für mein Unternehmen kurz- mittel- und langfristig sowie mittelbar oder unmittelbar relevant ist. So wie auch niemand unvorbereitet durch den echten Dschungel läuft, sollte man auch nicht uninformiert durch den Komplex der Nachhaltigkeit schlendern.  

Und ganz konkret: In keinem Fall liegt man als Unternehmen bzw. als Geschäftsführer falsch, wenn ein klares Verständnis von den grundsätzlichen politischen Entwicklungen und Konzepten zur Nachhaltigkeit und CSR besteht. Dazu gehören natürlich die Sustainable Development Goals der UN, die Neufassung der CSRD-Richtlinie der EU, das Lieferkettensorgfaltsgesetz und sicherlich auch die kommende Green Claims Directive (GCD), die die Gefahr des Greenwashings reduzieren soll. Und für Verlage mit ihrem hohen Verbrauch an Papieren ist natürlich die EU Deforestation Regulation (EUDR) eine wichtige Richtlinie.  
  
Welche Schritte muss ich gehen, um mein Unternehmen langfristig nachhaltig aufzustellen? 

Katja Meinecke-Meurer: Als erstes sollte man auf Managementebene folgende Fragen klären: Wie definieren wir Nachhaltigkeit? Verstehen wir unter Nachhaltigkeit alle das gleiche? Wo verankern wir das Thema Nachhaltigkeit? Welche Ziele wollen wir mit einer nachhaltigen Ausrichtung erreichen? Und wie können wir diese messen? Aus meiner Sicht ist es zudem notwendig, das Thema in die Vision und Mission einzubinden.  

Und es ist wichtig, dass Nachhaltigkeit ganzheitlich verstanden wird, also auf ökonomischer, ökologischer und sozialer Ebene – und entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Ein weiterer zentraler Punkt: Nachhaltigkeit ist kein Projekt, sondern muss übergreifend über das gesamte Unternehmen (und die komplette Unternehmenskultur) hinweg betrachtet und implementiert werden. 

Markus Wilhelm: Ich kann dem nur zustimmen, was Katja sagt. 
Wenn ich das auf die operative Projektebene runterbreche, sprechen wir von 5 Schritten, wie Nachhaltigkeit/CSR in einem Unternehmen eingeführt werden kann. 

Unsere Erfahrung zeigt, dass sich diese Schritte für Unternehmen aller Größen neben dem Alltagsgeschäft wirklich gut bewältigen lassen 

Welchen Zeitraum geben Sie sich selbst, oder wie schätzen Sie den Zeitraum ein, den ich brauche, um mein Unternehmen in Richtung Nachhaltigkeit zu transformieren? 

Katja Meinecke-Meurer : Es geht weniger um die Frage »Wie lange«, sondern um »Wann legen wir endlich los?«. Dabei muss man wissen: Nachhaltigkeit ist kein Sprint, sondern ein Marathon – und zwar einer mit Hindernissen.
Deshalb: Der Weg ist das Ziel! Trotzdem macht es unheimlich viel Spaß, die kleinen Erfolge und Errungenschaften auf diesem Weg zu feiern. Im Hinblick auf die lange Strecke ist es wichtig, Sprints und Einzeletappen zu definieren und die festgelegten Meilensteine sowie Ziele immer wieder zu überprüfen. »Einfach anfangen, ins Tun kommen und Erfahrungen sammeln« ist meine Devise.  

Wen, was und wie viele brauche ich dazu?  

Markus Wilhelm: Das »Wen« und »Wie viele« muss aus meiner Sicht aufgeteilt werden. Am Ende ist jeder Job ein Nachhaltigkeits-Job, weil das Thema alle Mitarbeitenden auf sehr unterschiedliche Art und Weise im Unternehmen betrifft und alle ihren Beitrag leisten können und müssen. 

Kurz gesagt: Am Ende braucht es alle. 

In einer initialen Projektphase, wenn das Thema Nachhaltigkeit/CSR strategisch ins Unternehmen eingeführt wird, braucht es in jedem Fall die Geschäftsführung und Mitarbeitende, aus allen wichtigen Bereichen des Unternehmens. Diversität und Partizipation – also das Zusammenwirken unterschiedlichster Menschen aus unterschiedlichen Bereichen – ist schon in dieser Phase sehr wichtig. So werden eine Vielzahl von Perspektiven eingebracht und die Qualität der Ergebnisse wird damit bestmöglich gewährleistet. Etwas klischeehaft formuliert: Wenn ich 10 »alte, weiße Männer« an den Projekttisch hole, werden meine Ergebnisse vermutlich etwas einseitig ausfallen. 

Die Frage nach dem »Was brauche ich« bleibt nun noch zu klären. Es braucht Begeisterungsfähigkeit für das Thema und den tiefgreifenden Wandel, der damit verbunden ist. Es braucht Beharrlichkeit, weil das Thema groß und langfristig gedacht und umgesetzt werden muss. Und es braucht neben vielem anderen eine Portion Frustrationstoleranz, weil aus unserer Erfahrung nicht alles so schnell geht, wie es notwendig und/oder gewünscht ist. 

Welche Rolle spielt die quantitative Bewertung (CO2e-Bilanzierung) und welche Rolle die qualitative Bewertung bei der Betrachtung von Nachhaltigkeit? 

Markus Wilhelm: Ich möchte mit einem Zitat von Albert Einstein beginnen: 
»Nicht alles, was zählt, kann gezählt werden – und nicht alles, was gezählt werden kann, zählt.«

Vor diesem Hintergrund unterscheiden wir grundsätzlich zwei Bereiche. Erstens den fakten- und wissensbasierten Teil inklusive der CO2e-Bilanzierung, in dem vieles gezählt werden kann. Und zweitens die kulturelle Veränderung einer Organisation, die sich gar nicht oder nur schwer quantifizieren lässt. 

Die CO2e-Bilanzierung liefert für die Organisation einen wesentlichen Teil der messbaren Größen und ist die Grundlage für die SMARTen Ziele, also für die Antwort auf die Frage »Wie viel CO2e-Reduktion möchte ich bis zu einem bestimmten Zeitpunkt erreichen?«.

Auch im sozialen Bereich gibt es KPIs, die gemessen und dargestellt werden können. 
Die CO2e-Bilanz ist aber ganz sicher für die ökologischen Ziele einer Organisation der zentrale Ansatz- und Ausgangspunkt. 

Die qualitativen Ziele, die sich nicht so einfach messen lassen, und die dazugehörigen Veränderungen sind aber mindestens so wichtig – vielleicht sogar wichtiger – als alles, was sich zählen lässt. Hier geht es um Veränderungsbereitschaft, um den oft genannten Change. Insofern sollte ein Unternehmen diesen kulturellen Wandel aktiv planen, fördern und begleiten, da hier die langfristige Verankerung der Nachhaltigkeit stattfindet – nämlich in den Köpfen der Mitarbeitenden. 

Welche Möglichkeiten gibt es aus Ihrer Sicht, Klimawirkung vergleichbar zu machen und mit Blick auf das 1,5 °-Ziel aus dem Pariser Klimaschutzabkommen zielgerichtet zu handeln?  

Markus Wilhelm: Mit den Science Based Targets (SBTI) gibt es einen bekannten und möglichen Ansatz, die eigene Klimastrategie auf das 1,5 °-Ziel auszurichten. 

Wir bevorzugen allerdings den Ansatz, den das Unternehmen right based on science entwickelt hat. Anhand einer komplexen Berechnung wird die Klimawirkung eines Unternehmens in eine °C-Zahl übersetzt. Die Aktivitäten des Unternehmens werden also ins Verhältnis zum Pariser Klimaabkommen gesetzt. Der große Vorteil ist, dass man als Unternehmen eine für alle verständliche °C-Zahl erhält und einen strategischen Handlungsrahmen ableiten kann. Das langfristige Ziel ist, 1,5 °C-konform zu wirtschaften. 

Die Methode basiert auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und ist von der Wissenschaft anerkannt. Genauer erklärt: Alle CO2e-Emissionen, also Scope 1 bis 3, werden ins Verhältnis zur eigenen Wertschöpfung gesetzt. Die so ermittelte Emissionsintensität wird mit branchenspezifischen CO2e-Bugets auf einer Zeitachse zueinander gestellt.

Wie schätzen Sie in diesem Fall die unterstützende Funktion des Branchenleitfaden Nachhaltigkeit für Verlage ein? 

Katja Meinecke-Meurer: Der Branchenleitfaden Nachhaltigkeit für Verlage war für uns in vielerlei Hinsicht eine tolle Unterstützung bei der Implementierung unseres eigenen Nachhaltigkeitsprojekts. Zum einen haben wir ihn mitentwickelt und konnten unsere verlagseigene Sichtweise umsetzungsorientiert einbringen. Gleichzeitig waren wir die Probe aufs Exempel und können bestätigen: Der Leitfaden funktioniert! Er bietet eine sehr praxisnahe Orientierung in diesem komplexen Problemfeld – gerade auch für kleine und mittlere Verlage, die sich noch nicht herangetraut haben oder auch nicht über entsprechende Ressourcen verfügen.  

Markus Wilhelm: Da gibt es kaum etwas hinzuzufügen.  Der DNK Branchenleitfaden Verlage ist anwendungs-, praxis- und lösungsorientiert. Legen Sie also los und kommen Sie mit in eine nachhaltige Zukunft!

Dieses Interview ist im Original am 28.02.24 im dpr Magazin erschienen.

Sie möchten mehr erfahren?

Sehr gerne! Vereinbaren Sie ein unverbindliches Erstgespräch mit Markus Wilhelm (wilhelm@publisher-consultants.de).

Unsere Beratung

Zum Blog